Kirchenrecht. 361
an Reichtum insbesondere des historischen Stoffs und an dessen juristischer Durchdringung alle
früheren Gesamtbearbeitungen unserer Disziplin weit überragend, der deutschen Wissenschaft
auch auf diesem Gebiet die unbestrittene Führung verschaffte.
Über Eichhorn: v. Schulte, 1884 und Landsberg, Geschichte der deutschen Rechts-
wissenschaft III, 2, 1910, Text S. 253 ff., 269, Noten S. 110 ff., 114; Heymann in Liebmann,
Die juristische Fatultät der Universität Berlin, 1910 S. 7 ff. Über Richter: Schulte, Z. f-
Kr. V., 1865 und Geschichte (5 26, 1) III, 2 S. 210 ff.; Dove, Z. f. Kr. VII, 1867 und in Hauck-
Herzogs Realenzykl." XVI, 1905, vor allem aber Hinschius, Z. f. RG. IV, 1864 sowie Lands-
berg a. a. O. Text S. 570 ff., Noten S. 251 ff.; Heymann a. a. O. S. Zf üÜber Hinschius:
Seckel in Hauck-Herzogs Realenzykl.“ VIII, 1900; Stutz, Allg. D. Biogr. L, 1905, Die kirch-
liche Rechtsgeschichte (loben S. 279); Landsberg a. a. O. Text S. 584 ff., Noten S. 258 ff.
Noch wichtiger war, daß 1848 der absolute Staat unterging, um dem konstitutionellen
Rechtsstaat mit dem Prinzip der Selbstverwaltung Platz zu machen. Niemandem kam der
Umschwung so zugute wie der katholischen Kirche. Die Selbstbeschränkung, die der Staat sich
auferlegte, gab ihr ein weites Gebiet freil; die Bestimmtheit ihrer Ziele und das Vorhandensein
einer bewährten, auch an moderne Verhältnisse leicht anzupassenden Organisation setzten sie
instand, die Selbstregienung sogar in weiterem Umfang zu übernehmen, als sie ihr zuerkannt
war. Besonders in Preußen. Die deutschen Grundrechte von 1848 hatten den Grundsatz der
Trennung von Staat und Kirche ausgesprochen 2. Ohne diesen mitübernehmen zu wollen,
aber auch ohne die staatlichen Hoheitsrechte über die Kirche festzulegen, verleibte Preußen, dessen.
König Friedrich Wilhelm IV. schon 1841 eine besondere katholische Abteilung im Kultus-
ministerium geschaffen hatte, welche zum mindesten in den Bau eines modernen, paritätischen
und der Neutralität in kirchlichen Dingen entgegengehenden Staates organisch nicht hinein-
paßte, eine Anzahl der Frankfurter Sätze den Verfassungen von 1848 und 1850 ein. Die Folge
war nicht bloß eine weitere Erstarkung des kirchlichen Rechtes, sondemm vor allem eine allmähliche
Verschiebung des Verhältnisses von Staat und Kirche im Sinne einer Nebenordnung beider
für die Vorstellung weiter katholischer Kreise. So kam es 1873 zu dem heftigen, als Kulturkampf
bekannten Konflikt, zu dessen Aufnahme freilich Bismarck auch deswegen sich entschloß, weil
er vorübergehend der damals allgemein, besonders von den Theologen, aber auch von manchen
Juristen genährten Uberschätzung der praktischen Bedeutung von päpstlicher Unfehlbarkeit und
päpstlichem Universalepiskopat verfiel. Kampfmittel waren die sogenannten preußischen Mai-
gesetze 2 mit ihren zahlreichen, wenig geschickten Strafbestimmungen und einer Reihe von Uber-
1 So z. B. auch die geistliche Gerichtsbarkeit, nur nicht mer mit bürgerlicher Wirkung. Siehe
darüber eine von der Bonner Juristenfakultät 1912 gekrönte Preisschrift von Kaas, Die geist-
liche Gerichtsbarkeit in Preußen während des 19. Jahrhunderts mit besonderer Berücksichtigung
der Kölner Kirchenprovinz, die 1914 in Stutz, Kr. A., erscheinen wird.
* Art. V #14. „Jeder Deutsche hat volle Glaubens- und Gewissensfreiheit. Niemand ist
verpflichtet, seine religiöse Uberzeugung zu offenbaren. ##15. Jeder Deutsche ist unbeschränkt in
der gemeinsamen, häuslichen und öffentlichen Übung seiner Religion. Verbrechen und Vergehen,
welche bei Ausübung dieser Freiheit begangen werden, sind nach dem Gesetze zu strafen. # 16.
Durch das religiöse Bekenntnis wird der Genuß der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte
weder bedingt noch beschränkt. Den staatsbürgerlichen Pflichten darf dasselbe keinen Abbruch
tun. + 17. Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig,
bleibt aber den allgemeinen Staatsgesetzen unterworfen. Keine Religionsgesellschaft genießt vor
anderen Vorrechte durch den Staat; es besteht fernerhin keine Staatskirche. Neue Religionsgesell-
schaften dürfen sich bilden; einer Anerkennung ihres Bekenntnisses durch den Staat bedarf es nicht.
*18. Niemand soll zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit gezwungen werden. §5 19. Die
Formel des Eides soll künftig lauten: So wahr mir Gott helfe. 5 20. Die bürgerliche Gültigkeit
der Ehe ist nur von der Vollziehung des Zivilaktes abhängig; die kirchliche Trauung kann nur nach
der Vollziehung des Zivilaktes stattfinden. Die Religionsverschiedenheit ist kein bürgerliches Ehe-
hindernis. 5 21. Die Standesbücher werden von den bürgerlichen Obrigkeiten geführt.“ Wörtlich
Übereinstimmend die Reichsverfassung vom 28. März 1849, Art. V, && 144—151.
:* Schon am 8. Juli 1871 wurde durch Allh. E. die Aufhebung der katholischen Abteilung im
Kultusministerium verfügt. Dann erhielt am 5. April 1873 A. 15 der Verfassung: „Die evan-
gelische und die römisch-katholische Kirche sowie jede andere Religionsgesellschaft ordnet und ver-
waltet ihre Angelegenheiten selbständig,“ den Zusatz: „bleibt aber den Staatsgesetzen
und der gesetzlich geordneten Aufsicht des Staates unterworfen",
während ein Zusatz zu A. 18 eine Ausführungsgesetzgebung in betreff Vorbildung, Anstellung
und Entlassung der Geistlichen und Religionsdiener sowie der Grenzen der kirchlichen Disziplinar-