Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Fünfter Band. (5)

Kirchenrecht. 363 
eine kräftige Kirchenhoheit des Staates, war durchgesetzt und wirkungsvoll behauptet 1; nie 
ist sie seither in deutschen Landen praktisch mehr in Frage gestellt, vielmehr bis in die neueste 
Zeit mit Erfolg betätigt worden 2. Gerade der gesicherte Besitz tatsächlicher Vorherrschaft war 
es, der nunmehr den deutschen Staaten die Herbeiführung eines friedlichen Modus vivendi 
auch mit der katholischen Kirche und den Ausbau ihres Staatskirchenrechts im Sinne einer 
besseren Durchführung der bloßen Kirchenhoheit ermöglichte. Wird erst die Überzeugung davon 
allgemein werden, daß Verschiedenheit des Glaubens, des Kultus und auch der kirchlichen Ein- 
richtungen, weit entfernt, ein nationales Unglück zu sein, im Rahmen eines konfessionell neutralen, 
starken Staats in Wahrheit eine Quelle gegenseitiger Förderung und kultureller Überlegenheit 
zu sein vermag, so werden im laufenden Jahrhundert auch die konfessionelle Verbitterung und 
andere, unvermeidliche, aber üble Folgen siegreich überwunden werden, welche die kirchen- 
politischen Kämpfe der Vergangenheit zurückgelassen haben. 
Neundörfer, Der ältere deutsche Liberalismus und die Forderung der Trennung von 
Staat und Kirche, A. f. k. Kr. LXXXIX, 1909; Poschinger, Verhandlungen zwischen Preußen 
und dem wostlichen Stuhle unter Friedrich Wilhelm IV. und Pius IX. (1853/54), Deutsche Revue 
XXXI, 1906; Gerlach, Das Verhältnis des preußischen Staates zu der katholischen Kirche , 
1867; Duhr, Altenstücke zur Geschichte der Jesuitenmissionen in Deutschland (1848—72), 1903; 
Friedberg cb Die Grundlagen der preußischen Kirchenpolitik unter Friedrich Wilhelm IV., 
1882; Hin schius, Die Stellung der deutschen Staatsregierungen gegenüber den Beschlüssen 
des vatikanischen Konzils, 1871; Hahn, Geschichte des Kulturkampfs, 1881; F. X. Schulte, 
Geschichte des Kulturkampfs in Preußen, 1882; Siegfried Cathrein), Aktenstücke betr. den 
preußischen Kulturkampf, 1882; v. Bar, Staat und katholische Kirche in Preußen, 1883; Bachem, 
Preußen und die katholische Kirche , 1875, Die kirchenpolitischen Kämpfe in Preußen, 1910; 
Baumgarten-Jolly, Staatsminister Jolly, 1897; v. Bismarck, Gedanken und Er- 
innerungen, 2 Bde., 1898; v. Mittnacht, Erinnerungen an Bismarck, I, 1904 S. 58; v. Tiede- 
mann, Aus sieben Jahrzehnten, 1, II, 1906/09; Coyau, Bismarck et I’Eglise, Le Culturkampf 
1, II. 1911 (zu Ende geführt R. des Deux mondes LXXXIII, 1913); Kißling, Geschichte des 
Kulturkampfs im Deutschen Reiche, I, 1911 (dazu Rothenbücher, 3.“ f. RG. II, 1912); 
Dittrich, Der Kulturkampf im Ermlande, 1913; v. Wertheimer, Andrassy und Bismarcks 
Kulturkampf, Deutsche Revue XXXVIII, 1913; Rachfahl, Windthorst und der Kulturkampf, 
Preuß. Jbb. CXXXV, 1909; Küsgen. Windthorst', 1911; Briefe Windthorsts, hrsg. von Pfülf, 
St. M.-L. LXXXII. LXXXI I. 1912; de Cesare, IH dottor Schloezer e la fine del Cultur- 
kampf, Nuovae antologis, 1891; Curtius, Kurt v. Schloezer, 1912; Crispoltie Aureli, 
I#politica di Leone XIII da Luigi Galimberti a Mariano Rampolla, 161d. 
8 43. Die Spiritualisierung des Kirchenrechts. 
Die kirchenrechtliche Arbeit des 19. Jahrhunderts erschöpfte sich auch auf katholischem 
Gebiet keineswegs in der bloßen Reproduktion. Im einzelnen fehlte es ja nicht an Rückfällen 
ins Mittelalter. So, wenn Pius IX. am 22. Juni 1868 das österreichische Staatsgrundgesetz 
vom 21. Dezember 1867, welches das Konkordat von 1855 zum Teil beseitigt hatte 2, feierlich 
verdammte oder durch die Enzyklika Quod nunquam vom 5. Februar 1875 die preußischen 
Maigesetze kurzweg für ungültig erklärte oder gar am 8. Dezember 1864 gleichzeitig mit der 
Enzyklika Quanta cura einen Syllabus complectens praecipuos nostrae aetatis errores ver- 
1 Der am 18. Juni 1875 aufgehobene Art. 15 der preußischen Verfassung ist selbst in der 
erweiterten Gestalt von 1873 (oben S. 361 A. 3) nicht wiederhergestellt worden; doch entspricht 
ihm die in Geltung stehende preußische Einzelgesetzgebung. Auch die katholische Abteilung im 
Kultusministerium erstand selbstverständlich nicht wieder. Die Anzeigepflicht der geistlichen Oberen 
und das Einspruchsrecht des Staates sind mit einigen Einschränkungen und Milderungen in Geltung 
geblieben. 
:* Z. B. dadurch, daß die Bekanntmachung der für die Evangelischen und für manche deutschen 
Fürstenhäuser kränkenden Borromäusenzyklika Pius' X. Editae semper vom 26. Mai 1910 in 
deutschen Diözesananzeigeblättern und von deutschen Kanzeln verhütet, daß eine ausdrückliche 
Erklärung (Schreiben des Kardinalstaatssekretärs Merry del Val an den Kardinal Kopp, Fürst- 
bischof von Breslau, vom 10. Februar 1911) über die Unanwendbarkeit der kirchlichen Vorschriften 
betreffend den sogenannten Antimodernisteneid auf die ausschließlich an staatlichen Universitäten 
tätigen Theologieprofessoren erwirkt und der Versuch der gemeinrechtlichen Reaktivierung des 
privilegierten Gerichtsstandes der Geistlichen (Motuproprio Kius' X. Quantavis diligentia vom 
9. Oktober 1911) für Deutschland abgewehrt wurde; vgl. Wiegand, Kirchliche Bewegungen 
der Gegenwart, eine Sammlung von Aktenstücken, I, 1907, II, 1908. 
Die völlige, staatsgesetzliche Beseitigung erfolgte am 7. Mai 1874.
	        
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