Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Fünfter Band. (5)

370 Ulrich Stutz. 
Reformation zu Stadt und Land gewaltig aus. Doch suchte inzwischen der religiöse und der 
soziale Radikalismus in Gestalt der Täuferei und der Bauernbewegung sich ihrer zu bemächtigen. 
Luthers überragender Persönlichkeit gelang es, seine Sache beider zu erwehren. Aber damit 
nahm auch der enthusiastische Schwung der Bewegung ein Ende. Gleich dem Christentum der 
nachapostolischen Zeit trat die Reformation in das Stadium der Ernüchterung und damit der 
äußeren Einrichtung. 
Gefscken, Staat und Kirche nach Anschauung der Reformatoren, 1879; Lenz, Das 
Verhältnis der reformatorischen Doktrinen zur politischen Gewalt, Ak. Festrede, 1894; G. Müller, 
Luthers Stellung zum Rechte, 1906; Brandenburg, Martin Luthers Anschauung vom 
Staate und der Gesellschaft, Schrift. d. Ver. f. Ref.-Gesch. H. 70, 1901; v. Schubert, Reich und 
Reformation, Heidelberger akad. Rede, 1910; Laemmer, Analecta Romana, 1861, Monu- 
menta Vaticana, 1861, Meletematum Romanorum mantissa, 1875; Cornelius, Geschichte 
des Münsterischen Aufruhrs, 2 R-de., 1855—60; Barge, Andreab Bodenstein von Karlstadt, 
2 Bde., 1905, 1906, Luther und Karlstadt in Wittenberg, H. Z. XCIX, 1907; K. Müller, Luther 
und Karlstadt, 1907. 
§ 45. Die Evangelischen eine eigene Religionspartei und tatsächlich geduldet. 
Nach den Ereignissen des Jahres 1520, insonderheit nach Aufgabe der Messe, des Mittel- 
punkts katholischer Gottesverehrung, im Jahre 1523, ließ sich Luthers und des konsewativeren 
Melanchthon anfänglicher Anspruch, die eine, alte, katholische, wenn auch nicht römische Kirche 
fortzusetzen, nicht mehr mit Erfolg aufrechterhalten. Der Reichstag von Speier 1529 mit seiner 
auf möglichste Einschränkung auch des vorläufigen evangelischen Besitzstandes berechneten Schroff- 
heit veranlaßte am 19./25. April alle deutschen Stände und Städte, die der neuen Lehre an- 
hingen, zu dem gemeinsamen Protest, der ihnen den Gesamtsondernamen „Protestanten“ ein- 
trug. Freilich legten das Marburger Gespräch vom 1.—4. Oktober und der nicht beglichene 
Abendmahlsstreit alsbald den Grund zur dauernden Trennung der schweizerischen Reformation 
Zwinglis von der deutschen. Aber dieser wenigstens gab schon der Augsburger Reichstag von 
1530 Gelegenheit, mit einem eigenen Bekenntnis hervorzutreten, der confessio Augustana, 
samt der von den mehr schweizerisch gerichteten Städten Straßburg, Konstanz, Lindau und 
Memmingen eingereichten Tetrapolitana (gegen beide katholische confutationes), ein Bekenntnis, 
das Melanchthon 1531 in der Apologie aufrechterhielt 1. Seither gehen die deutschen Evan= 
gelischen unter der Bezeichnung „Augsburgische Konfessionsverwandte“. 
Melanchthon, Loci communes, hrsg. von Plitt und Kolde“", 1900; Ellinger, 
Philipp Melanchthon, 1902; Heuser, Die Protestation von Speier, 1904; Ney, Die Appella- 
tion und Protestation der evangelischen Stände auf dem Reichstage zu Speier, Q. z. Gesch. d. 
Protest. 5, 1906; Kolde, Die Augsburgische Konfession ", 1911, Die älteste Redaktion der Augs- 
burger Konfession, 1906; Tschackert, Die r-l Augsburgische Konfession, 1901; 
Thiele, Die Augsburgische Konfession, 1909; Gußmann, Quellen u. Forschu n zur 
Geschichte des Augsburgischen Glaubensbekenntnisses, 1, 1911; I B h. Ficker, Die astatkon 
des augsburgischen Bekenntnisses, 1892. 
Schon vorher hatte der Speierer Reichsabschied von 1526 bestimmt, „in Sachen der 
Religion und des Wormser Edikts solle jeder Stand mit seinen Untertanen so leben, regieren 
und es halten, wie er es gegen Gott und die Kaiserliche Majestät zu verantworten sich getraue“. 
Damit war die tatsächliche Duldung andersgläubiger Stände in dem zunächst noch als notwendig 
katholisch angesehenen Reiche erzielt, ein Erfolg, den auch spätere, weniger günstige Reichstags- 
beschlüsse nicht rückgängig zu machen vermochten. Ferner war, indem man mit, d. h. für und 
gegenüber seinen Untertanen Stellung nehmen zu wollen erklärte, der Grundsab: Cuius regio, 
eius religio, also die Übereinstimmung von landesherrlichem und Untertanenbekenntnis für 
alle Beteiligten, auch die evangelischen Stände, als selbstverständlich anerkannt. Und endlich 
setzte man damit, daß man nicht mehr auf das Reich, aber auch nicht auf die Einzelnen, sonderm 
auf die Stände abstellte, bei diesen, auch bei den evangelischen, das hergebrachte Recht des 
Religionsbannes im weiteren Sinn voraus, nur daß es jetzt aus einem Notrecht auf bloßes Ein- 
greifen in die äußere Ordnung (ius reformandae disciplinae) mehr ein ordentliches, wenn auch 
1 Später (1544) kamen als Bekenntnisschrift noch die schmalkaldischen Artikel von 1537 hinzu.
	        
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