382 ulrich Stutz.
lichen. Aus einer Seite der christlichen Weltordnung wurde jetzt die Kirche zu einer innerstaat-
lichen Korporation oder Anstalt, woraus sich unter anderem die Möglichkeit eines Neben-
einanders mehrerer Religionen ergab. Zu dieser Anstalt setzte man den Staat in Beziehung
durch das Territorialsystem (Pufendorf, 1687, Thomasius, 1695, Just. Henning
Böhmer, 1674—1749 1, Johann Jakob Moser, 1 1785). Nicht über das Innere der Religion,
wohl aber über das Außere hat der status politicus kraft Territorialitätsrechtes wie über alle
in sein Gebiet hineinragende Verhältnisse zu bestimmen, also auch dann, wenn das Staats-
oberhaupt katholisch ist (1725 vergeblicher Protest des Corpus Evangelicorum). Doch bleibt ihm
in diesem Fall bloß die Substanz des Rechtes, nicht die Ausübung (kursächsische Reversalien
von 1697 anläßlich des Ubertritts Friedrich Augusts von Sachsen). Der status ecclesiasticus,
in Lehr- und inneren Kirchenangelegenheiten relativ selbständig, ist der Staatsgewalt bezüglich
der äußeren Ordnung unterworfen; der status oeconomicus hat auch hier nur zu gehorchen.
3. Ihn bringt zu Ehren das Kollegialsystem, in der Behandlung der Kirche als
einer dem Staat eingegliederten Rechtsperson und in der Bezeichnung der Rechte des Staats
in Sachen der Religion als jura circa sacra mit dem Territorialsystem übereinstimmend, aber
die Kirche als Verein (collegium aequale) betrachtend, so daß das Schwergewicht prinzipiell
dem status oeconomicus als Inhaber der Vereinsgewalt, jura collegialia, gebührt. Die Kirchen-
diener erschienen darnach als Vereinsbeamte, und der Landesherr konnte die Kirchengewalt,
jus in sacra, nur kraft stillschweigenden oder ausdrücklichen Auftrags und unter der Aussicht
des kirchlichen Vereins innehaben. Hauptvertreter dieses mit dem Preußischen Allgemeinen
Landrecht sich berührenden, aber erst im 19. Jahrhundert ganz praktisch werdenden Systems
waren Pfaff, 1719, Wiese, 1# 1824, Schleiermacher, 1768—1835, Puchta, t 1846.
Sohm, Kr. 1# 40; Rieker, Rechtliche Stellung (s§ 46); Merkel, Das protestantische
Kirchenrecht des 18. Jahrhunderts, Ztschr. f. luth. Theol. XXI, 1860; Stintzing-- Lands-
berg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft II, 1884 S. 91, 111, 206, III, 1, 1898 S. 18 f.,
51, 84, 147 f., 276, 308, 329; Ziekursch, August der Starke und die katholische Kirche (1697
bis 1720), Z. f. Kg. XXIV, 1903; Hiltebrandt, Die polnische Königswahl von 1697 und
die Konversion Augusts des Starken, O. u. F. X, 1907; Haacke, Der Glaubenswechsel Augusts
des Starken, H. V. X, 1907; Frantz, Das katholische Direktorium des Corpus Evangelicorum,
1880; Mosapp, Die Württembergischen Religionsreversalien, 1894.
Drittes Kapitel.
Oas reformierte Kirchenrecht und seine Quellen.
§ 50. Die reformierten Kirchen außerhalb des Reichs.
Machte die deutscher Innerlichkeit entsprungene Tiefe des religiösen Gehalts die Stärke
von Luthers Reformation aus, so offenbarte sich die Größe des reformierten Protestantismus
in der Form, auf dem äußeren Gebiet, also im Recht. Nicht umsonst ist es nicht das an staatliche
Bande gefesselte Luthertum gewesen, das den Protestantismus durch die Welt trug, sondern
das reformierte Kirchentum.
Allerdings nicht dasjenige Zwinglis (1484—1531). Wiewohl nüchterner und in Fragen
der Organisation praktischer als Luther, ist er doch im wesentlichen zu demselben Ergebnis ge-
langt wie der deutsche Reformator. Angesichts der Energie, mit welcher der Rat von Zürich
sich der Sache der Reformation und Zwinglis annahm, und des Geschicks, mit dem er sie zur
Grundlage einer weit ausschauenden Politik machte, verzichtete Zwingli auf seinen ursprüng-
lichen Gedanken, die Einzelgemeinde (Kilchhöre), in der er die Grundform der sichtbaren Kirche
erblickte, zum Eckpfeiler einer selbständigen kirchlichen Organisation zu machen. Die Folge war
ein noch weiter gehendes und zäheres Staatskirchentum als in Deutschland. Die zweimal jährlich
sich versammelnde Geistlichkeitssynode beschäftigte sich fast nur mit der Zensur über ihre Mit-
1 Jus ecclesiasticum Protestantium, 5 Bde., 1714—1737. Es ist bezeichnend für die Be-
deutung, welche das kanonische Recht bei diesen lutherischen Kirchenrechtslehrern wieder gewonnen
hat, daß Böhmers Werk, unter den kirchenrechtlichen Leistungen des 18. Jahrhunderts eine der
hervorragendsten, der Titelfolge der Dekretalen sich anschloß.