Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Fünfter Band. (5)

Kirchenrecht. 387 
und das oberste Organ der Staatsgewalt einerseits und den Inhaber des Kirchenregiments 
oder, nach episkopalistischer Ausdrucksweise, des Summepiskopats anderseits, eine Unter- 
scheidung, die auch dadurch einen gewissen tatsächlichen Rückhalt gewann, daß die Deutsche 
Bundesakte Art. 14 den Standesherren ihre früheren kirchenregimentlichen Befugnisse, 
wenn auch unter der Aussicht des Landesherrn und innerhalb der Landeskirche, gewähr- 
leistete 1. Doch kam die Verschiedenheit der beiden Stellungen den maßgebenden Instanzen 
erst 1848 zu vollem Bewußtsein. Damals schien zunächst der Ubergang zum Konstitutionalis- 
mus zugleich das Ende des landesherrlichen Kirchenregiments zu bedeuten, wie denn auch der 
auf das Wohl der evangelischen Kirche eifrig bedachte Friedrich Wilhelm IV., der schon 1845 
„die Konsistorien wieder zu wahren Kirchenregimentsbehörden erhoben hatte“, zeitweilig zur 
Abgabe wenigstens der „bischöflichen Rechte in die rechten Hände“ bereit war. Da fanden 
theologische Kreise, die, nach der vorangegangenen Entwicklung wohl nicht ohne Grund, an der 
Fähigkeit der evangelischen Kirche, nach jahrhundertelanger Unselbständigkeit ohne weiteres 
ihre Angelegenheiten wirklich autonom zu verwalten, verzweifelten, die erlösende Formel, das 
landesherrliche Kirchenregiment sei eine Frage der inneren Verfassung der evangelischen Kirche 
und ein Dienst an ihr, den die Obrigkeit als vomehmstes Glied der Kirche tue (Hengstenbergs 
Evangelische Kirchenzeitung). Die letztere Begründung versagte nun allerdings gänzlich, und 
zwar nicht bloß da, wo der Landesherr katholisch war. Jedoch die Macht der Tatsachen über- 
wand selbst die Bedenken der schärfer blickenden Juristen, insbesondere des auch für das evan- 
gelische Kirchenrecht führenden Richter (§ 42), hatte doch von ihnen schon zuvor Puchta gelehrt, 
dem Landesherrn gebühre das evangelische Kirchenregiment zwar, weil er Staatsoberhaupt 
sei, aber nicht als solchem. Und eine Reihe praktisch wertvoller Errungenschaften zeitigte die 
veränderte Auffassung immerhin. Am 29. Juni 1850 schuf Friedrich Wilhelm IV. für die 
Landeskirche der damaligen preußischen Provinzen im evangelischen Oberkirchenrat eine oberste 
kirchenregimentliche Behörde, die dem Landesherrn als Träger und Organ des Kirchenregiments 
direkt untersteht 2, indes die staatlische Ministerialbehörde, zumal seit 1876 auch die dem Kultus- 
ministerium und den Regierungen bis dahin verbliebenen Extema auf die Kirchenbehörden 
übergegangen sind, auf die Wahrung der Kirchenhoheitsrechte beschränkt bleibt (ebenso 
seit 1860 in Baden). Diese Einrichtung läßt die Vereinigung der beiden Stellungen in 
der Person des Landesherrn, die zunächst bloß als eine — wenn auch durchaus nicht 
ungewöhnliche — juristische Konstruktion erscheint 3, praktische Realität gewinnen, da die 
getrennte ressortmäßige Vorbereitung und Vertretung der höchsten Entschlüsse eine allseitige 
Berücksichtigung der verschiedenen in Betracht kommenden Gesichtspunkte und Interessen 
hinreichend gewährleistet. Aus der obengedachten Auffassung ergab sich aber auch die Fern- 
haltung der ja nunmehr aus den verschiedensten Religionsangehörigen zusammengesetzten staat- 
lichen Volksvertretung vom Kirchenregiment. Zunächst regierte vielmehr der Landesherr die 
Kirche weiter absolut. Doch mußte er sich, teils unter dem Einfluß des staatlichen Vorbilds, 
teils in Wiedererweckung reformierter Gedanken, teils aus modern -kirchlichen Erwägungen 
bald eine Beschränkung gefallen lassen, aber so, daß damit nicht ein Gegensatz, sondern eine 
Erweiterung und Verstärkung des einheitlichen kirchlichen Organismus, namentlich auch für 
das Gebiet der Verwaltung, geschaffen wurde. 
Nippold, Handbuch der neuesten Kirchengeschichte III7 1, 2, 1890—96; Sohm, Kr. 1 
#g 41; Troeltsch, Protestantisches Christentum und Kirche in der Neuzeit, in Hinnebergs Kultur 
1 Nicht in den radikaler verfahrenden Baden und Württemberg, wohl aber in Preußen und 
Hannover wurde, und zwar zugunsten des Stolbergischen Hauses (unter Aufrechterhaltung der 
Rezesse von 1714, 1738, 1755), hiervon wirklich Gebrauch gemacht. Noch heute bestehen so gräflich 
Stolbergische Mediatkonsistorien zu Wernigerode, Stolberg und Roßla, die, im übrigen direkt dem 
preußischen Oberkirchenrat unterstellt, seit 1874 auch vom magdeburgischen königlichen Konsistorium 
in gewisser Beziehung abhängen, ferner das königliche und gräflich Stolberg-Stolbergische Konsistorium 
zu Neustadt und Hohnstein, das jetzt unter dem Landeskonsistorium in Hannover und mit diesem 
unter dem preußischen Kultusminister steht. Vgl. Schoen (5 48, 3) I 45 f., 71 A. 1, 260 ff. 
* Eine außerordentlicherweise 1846 einberufene preußische Generalsynode hatte bereits zu 
der dann 1848 bewerkstelligten, aber alsbald wieder rückgängig gemachten Errichtung eines noch 
dem Ministerium unterstellten Landeskonsistoriums den Anstoß gegeben. 
* Das duas personas sustinere ist eine altgeläufige juristische Auskunft. 
25 * 
 
	        
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