Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Fünfter Band. (5)

Kirchenrecht. 391 
schon durch deren Eigenschaft als organisierte Menschengemeinschaft gegeben. Es ist ihr ebenso 
unentbehrlich und ursprünglich wie jedem organisierten menschlichen Verband. Allerdings 
nicht mit jedem geschichtlich gegebenen Kirchenverband hat sich das Recht gleich innig verbunden. 
Gerla 3 Logisch-juristische Abhandlung über die Definition des Kirchenrechts, 1862; 
Groß, Zur Begriffsbestimmung und Würdigung des Kirchenrechts, 1872; O. Mejer, Ist 
das Recht einer freien Vereinskirche Recht im juristischen Sinn? Z. f. Kr. XI, 1873; Bier- 
lin m Das Wesen des positiven Rechts und das Kirchenrecht, Z. f. Kr. XIII, 1876; Fr edri ch, 
egriffsbestimmung des Kirchenrechts, D. Z. f. Kr. XVI, 1906. Gegen die These von Sohm, 
.I „Das Kirchenrecht steht im Widerspruch zum Wesen der Kirche“, außer Kahl 1#5 nament- 
Bendix, Kirche und Kirchenrecht, 1895; Reischle, Sohms Kirchenrecht, 1895; 3 eer- 
" er, Kirche und Recht, 1895; Köhler, lüber die Möglichkeit des Kirchenrechts, D. Z. f. 
Kr. VI, 1897. 
Die das ganze Erdenrund umspannende Organisation der katholischen Kirche ist begrifflich 
Rechtskirche (§ 63). Kirche im Lehrsinn und Kirche im Rechtssinn fallen bei ihr zusammen, da 
Christus sie nach katholischer Lehre als Rechtsanstalt geschaffen 1, und ein auf die Eingebung 
des Heiligen Geistes zurückgeführter Teil der Tradition sie mit ausgebaut hat. 
Für die reformierte Auffassung ist nicht sowohl der Gedanke der Göttlichkeit als derjenige 
der Schriftgemäßheit entscheidend. Eine bestimmte, die neutestamentliche und urchristliche 
Verfassung gleich dem Urchristentum zu reproduzieren, dazu ist die Kirche berfen, deren Or- 
ganisation, wenigstens nach altreformierter Auffassung, mithin als gegeben und wesentlich 
erscheint. 
Sohm, Kr. I K 34, 39, 41; Rieker, Grundsä 1— katholische und der 
protestantische Kirchenbegriff, 1894; Rohnert, Kirche, Kirchen und Sekten, 1901. 
Dagegen haben die eingangs entwickelte, untergeordnete, nur aus dem Wesen der Kirche 
als menschlicher Verband entspringende Bedeutung Recht und Verfassung der lutherischen 
Landeskirchen. Diese sind somit an eine bestimmte Organisation weder dogmatisch noch historisch 
gebunden. 
v. Scheurl, Die geistliche und die rechtliche Kirche, in seiner S. kr. Aä.; Köstlin, Das 
Wesen der Kirche", 1872; Seeberg, Der veg riff der christlichen Kirche, J, 1885; Bleibtreu, 
Die evangelische Lehre von der si ibaren uns unsichtbaren Kirche, 1903; Hapyp el, Richard 
Rothes Lehre von der Kirche, 1909; Knoke, Recht und Pflicht der evangelischen Kirche, 1912; 
Waitz, Das Wesen der evangelischen Kirche, 1913. 
In jedem Fall entspringt das Kirchenrecht, d. h. der Inbegriff der Rechtssätze, die nach 
der erklärten Uberzeugung einer kirchlichen Gemeinschaft deren Leben bestimmen sollen, einer 
Überzeugung. Diese geht entweder dahin, Gott oder sein Sohn oder der Heilige Geist hätten 
selbst ein Bestimmtes als Recht zu halten befohlen (katholisches ius dvinum), oder dahin, solche 
Ordnung entspreche nach der geschichtlichen Erfahrung am besten dem göttlichen Willen (refor- 
miertes Verfassungsrecht), oder endlich, eine freie, hier aber noch mehr als auf weltlichem 
Gebiet mittelbar das Walten Gottes verratende Vernunft heische solche Ordnung (katholisches 
ius humanum, lutherisches und modernes evangelisches Kirchenrecht). 
Schoenborn, Kirche und Recht, Cornicelius, Internat. Monatsschrift, Februar 1912. 
Mit dieser Uberzeugung wurzelt das Kirchenrecht einzig und allein in der kirchlichen 
Gemeinschaft. Gerade es liefert den Beweis dafür, daß das Recht nicht ein Erzeugnis des 
Staates und von dessen Gnaden ist, wie eine, wenn auch nicht mehr herrschende, so doch heute 
noch verbreitete, im absoluten Staat und dessen Staatskirchentum wurzelnde Lehre will. Viel- 
mehr entsteht es und setzt es sich zu einem guten Teil durch unabhängig vom Staat. Freilich, 
heutzutage, wo dieser begrifflich und tatsächlich die Vormacht ist, stehen äußere Zwangsmittel 
nur für die Durchführung des vom Staat anerkannten, auch staatlichen Rechts zur Verfügung, 
von dem außer dem ausdrücklich oder stillschweigend geduldeten das stillschweigend oder ausdrück- 
lich verworfene Kirchenrecht wohl zu unterscheiden ist. Jedoch die Erzwingbarkeit bedingt zwar 
die e Vollendung, aber keineswegs das Wesen des Rechts, das ja in der großen Mehrzahl seiner 
Trident. sess. VI de jiustif. can. 21: Si quis dixerit, Christum Jesum a Deo hominibus 
datum fuisse ut redemptorem, cui fidant, non etiam ut legislatorem, cui obediant, anathema sit.
	        
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