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die für die beiderseitigen Angehörigen erst verbindliche Veröffentlichung als Staats- und Kirchen-
gesetz zu erfolgen hat. Alle diese Lösungsversuche, die vomehmlich der Koordinationstheorie
entsprechen, die man aber auch mit der staatlichen Kirchenhoheit in Einklang zu bringen versucht
hat, scheitem an dem Mangel einer über Staat und Kirche sich erhebenden, beide umfassenden
Rechtsordnung, auf Grund deren Verträge im Rechtssinn zwischen beiden geschlossen werden.
könnten. So bleibt nur die dritte Möglichkeit der sogenannten Legaltheorie, die eine rechtliche
Bindung des souveränen Staates, aber auch des Papstes nicht anerkennt, sondern bloß eine
moralische Verpflichtung, welche einzig und allein in Gestalt der auf ihr basierenden staatlichen
und kirchlichen Gesetze zu staatlichem und kirchlichem Recht wird. Doch ist die ältere Form der
Legaltheorie, welche einfach als das Gegenstück der Privilegientheorie sich darstellt und die der
Kirche gemachten Zugeständnisse als frei widerrufliche staatliche Verleihung erklärt, zu ver-
werfen und anzuerkennen, daß nur aus dem formalen Grund des mangelnden gemeinschaft-
lichen Rechtsbodens und der staatlichen Souveränität eine rechtliche Bindung nicht besteht, indes
eine selbstverständlich durch das Prinzip der Selbsterhaltung beschränkte materielle Bindung
moralischer Natur nicht in Abrede gestellt werden darf. So gefaßt, gewährt die Theorie auch
die Möglichkeit, die den eigentlichen Konkordaten an praktischer Bedeutung bisweilen nur wenig
nachstehenden Abmachungen der Staaten mit dem Landesepiskopat bzw. mit der evangelischen
Kirche 1 mit unterzubringen, da es für die bloß moralische Bindung keinen Unterschied macht,
daß beim Landesbischof und den evangelischen Kirchenkörpern die Untertanschaft in bürger-
licher und staatsbürgerlicher Beziehung von der kirchlichen Stellung sich nicht frei trennen läßt.
Und vor allem wirkt die Theorie praktisch abschreckend, was ein unleugbarer Vorzug derselben
ist; denn so sehr eine tatsächliche Verständigung von Fall zu Fall mit dem kirchlichen Oberhaupt
wie mit den inländischen Kirchenoberen erstrebenswert erscheint, so wenig ist es deren formelle
Festlegung, weil vielfach schon die bloße Tatsache der schriftlichen Bindung die staatliche Sou-
veränität beeinträchtigt, und namentlich, weil feste Vereinbarungen, von jedem Teil nach seinem
System ausgelegt, erfahrungsgemäß mehr Unfrieden stiften, als daß sie den zwischen Staat
und Kirche einzig möglichen zeitweiligen Waffenstillstand sichem.
Münch, Vollständige Sammlung aller älteren und neueren Konkordate, 2 Bde, 1830 ff.;
Nussi, Conventiones de rebus ecclesiasticis, 1870; Conventiones de rebus ecclesiasticis inter
8. Sedem et Civilem Potestatem initae sub Pontil. Leonis XIII. usque ad diem 1. XI. 1893, 1893.
Die für Deutschland in Betracht kommenden Konkordate auch bei Schneider, Die parti-
kulären Kirchenrechtsquellen in Deutschland und Osterreich, 1898. Hinschius, Staat und
Kirche (§ nt Hübler, Zur Revision der Lehre von der rechtlichen Natur der Konkordate,
f. Kr. III, 1863, IV, 1864, Kirchenrechtsquellen (oben S. 279) § 4 Balve, Kirche und
taat in ihren Vereinbarungen“, „ 1881; Rümelin, Zur katholischen Kirchenfrage, Reden und
Aufsätze II, 1881, S. 236 ff.; B e yer, Die rechtliche Natur der Konkordate, Marburger jur. Diss.,
1907; F. E. S ch neider, Die rechtliche Natur der Vereinbarungen zwischen Staat und Kirche,
Münsterische jur. Diss., 1908; Aktenstücke auch im Staatsarchiv von Aegidi u. a., seit 1861 bis jetzt
82 Rde. (vgl. Lit. zu 5 42).
Zweiter Titel.
Das deutsche Staatskirchenrecht“.
Außer den S. 390 erwähnten Lehrbüchern, von denen bezüglich des Staatskirchenrechtes
dasjenige von Kahl am ausgiebigsten ist, sowie Hinschius, Staat und Kirche (& 55), Kr.
III 190, 197, IV 5 235, VI K 376—380, 382, und Rieker, Rechtliche Stellung (§ 46) vol.
Weshalb die Identität des Landesherrn und Trägers der Kirchengewalt dem im Wege
stehen soll, ist unerfindlich. Daß für den Fall der Vereinigung zweier Personenrollen in ein und
derselben physischen Person, sogar innerhalb desselben Rechtsgebietes, auch ein rechtsgeschäftliches
Handeln durchaus möglich sei, erkennt z. B. §5 181 BG. an (Selbstkontrahieren des Stellvertreters).
Nach der Zählung vom 1. Dezember 1910 setzte sich die Bevölkerung des Deutschen Reichs
bei einer Gesamtzahl von 64 925 993 Einwohnern zusammen aus 39 991 421 Evangelischen,
23 821 433 Römisch-Katholischen, 283 946 Anhängern anderer christlicher Bekenntnisse, 2II4 sonfäügen
Werite 615 021 Israeliten, 205 900 Vertretern anderer Bekenntnisse und 6138 ohne Angabe der
onfession.