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auf Zulassung hat keine Kirche dem Staat gegenüber. Wohl aber ist es ein Postulat der staat-
lichen Rechtsidee, daß im Staat wie Verbände überhaupt, so auch solche zu religiösen Zwecken
zugelassen werden. Weiter aber enthält das moderne ius reformandi die Befugnis, über das
Wie und über die Wirkung der Zulassung zu bestimmen, d. h. die Stellung des zugelassenen
Religionsverbandes im Staate zu normieren; es ist recht eigentlich ein ius reformandi privi-
legia, um jenachdem die Zugelassenen mit Vorrechten auszustatten oder nicht. Mit bloßen
Religionsvereinen, die nur nach den Grundsätzen des gemeinen Vereins- und Versammlungs-
rechtes zu gemeinsamem Gottesdienst sich vereinigen 1, beschäftigt sich der Staat in der Regel
nicht. Zur Religionsgesellschaft? wird die Vereinigung, wenn sie die Rechtsfähigkeit erlangt
und sich organisiert. Das ist jedoch nach BG. § 61 im Gebiet des Privatrechts nur möglich,
falls die Verwaltungsbehörde gegen die Eintragung keinen Einspruch erhebt (verkapptes, auf
dem Reformationsrecht basierendes Konzessionssystem), oder, wo — was nach EG. Art. 84
auch weiter zulässig — lex specialis verlangt wird (Preußen, Oldenburg), wenn ein Gesetz die
Rechtsfähigkeit verleiht (offenes Konzessionssystem). Mit der Eigenschaft als Religionsgesell-
schaft verknüpfen sich aber auch gewisse reichs- und landesrechtliche Folgen öffentlicher Natur,
der Schutz des § 166 RSt GB., Befreiung von der Einquartierungspflicht für die gottesdienst-
lichen Gebäude, Nichtheranziehung der Geistlichen zum Dienst bei der Waffe, Freiheit von
vereinspolizeilichen Beschränkungen. Als höchstprivilegiert endlich erscheint der Religions=
verband dann, wenn er als Person auch des öffentlichen Rechtes, als Kirche im Sinn des
deutschen Staatsrechts anerkannt wird. Das kann natürlich nur durch Gesetz geschehen. So
erklären z. B. in Preußen, Bayer, Württemberg, Baden, Hessen staatliche Gesetze die christ-
lichen Kirchen, also die evangelische Landeskirche und die römisch-katholische, für privilegierte
und für öffentliche Korporationen . Diese letztere Bezeichnung stammt aus den Zeiten der
Herrschaft des Kollegialsystems her. Sie ist nicht sehr glücklich; denn wenn irgendein Verband,
so ist eine christliche Kirche mit dem ihr von außen eingepflanzten, sie beherrschenden Willen
eine Anstalt, auch die evangelische Kirche, trotz neuerlicher starker Durchsetzung ihrer Organi-
sation mit körperschaftlichen Elementen. Und sie hat obendrein in neuerer Zeit durch Ver-
flüchtigung des zugrunde liegenden Begriffs erheblich an Bestimmtheit eingebüßt. Man
wird jedoch sagen dürfen, durch die Beilegung öffentlicher Korporationsqualität werde auch
für die Kirchen deren Sozialrecht in das Gebiet des an sich nur dem Staat eignenden öffent-
lichen Rechtes erhoben. Das hat zur Folge, daß ihre nach Kirchenrecht ohne weiteres gegebene
obrigkeitliche Gewalt nunmehr staatlich anerkannt, daß ihr als solches schon ohnedies vorhandenes
Recht nunmehr dem staatlichen gleichgewertet und als autonomische Satzung staatlich frei-
gegeben wird, wenn auch nicht notwendig in allen seinen Teilen. Es bedeutet ferner die Ein-
räumung von Sitz und Stimme in der Landesvertretung (I. Kammer) an die Spitzen der kirch-
lichen Behörden, die Behandlung der Diener der Kirche zwar nicht als staatlicher, wohl aber
kehend- Befugnis der Landesherren, die Abhaltung öffentlicher Gottesdienste und Dankfeste
anzuordnen.
Zum Beispiel die Deutschkatholiken in Preußen und Bayern, in letzterem auch die Alt-
latholilen, die Irvingianer und Methodisten in Preußen, Sachsen, Württemberg, die Altlutheraner
in en.
* In Preußen z. B. die Altlutheraner und Herrnhuter, auch die Juden; in Bayern und
Sachsen ebenfalls die Juden; in Baden die Deutschkatholiken; Benario, Die vermögensrecht-
liche Stellung der israelitischen Kultusgemeinden in Bayern, 1893; Heimberger, Die staats-
kirchenrechtliche Stellung der Israeliten in Bayern, 1912; Tannenwald, Die rechtlichen
Verhältnisse der Juden in Hamburg, 1911; Wahlhaus, Die Rechtsstellung der israelitischen
Kultusgemeinden im rechtsrheinischen Bayern, 1912; Berliner, Die staatskirchenrechtliche
Stellung der israelitischen Religionsgemeinden... Süddeutschlands, Gießener jur. Diss., 1912;
Wo " ff 92 Recht der israelitischen Religionsgemeinschaft des Großh. Baden, Freiburger Abh.
22. H., 1913.
* Die sog. Altkatholiken, die das Vatikanum nicht anerkennen, werden in Baden seit 1874
von Gesetzes wegen weiter als Katholiken behandelt, so daß ihnen der Mitgenuß am katholischen
Kirchenvermögen zusteht. Die letztere praktische Folgerung hat 1875 auch die preußische Gesetz-
gebung gezogen, indes in Hessen wenigstens die Praxis denselben Standpunkt einnimmt. Siehe
die Lit. zu § 43 und für Österreich noch v. Hussarek, Eherechtliche Fragen der österreichischen
Altkatholiken, A. f. k. Kr. LXXXIII, 1903. In Baden kommt übrigens auch dem organisierten
Judentum beschränkte öffentliche Korporationsqualität zu.