Kirchenrecht. 447
8 92. Straf- und Streitverfahren.
Der Verhängung von poense und censurae ferendae sententiae geht heute ein ab-
gekürztes und summarisches Inquisitionsverfahren 1, meistens nach einer für Italien am 11. Juni
1880 ergangenen Instruktion (Acta S. Sedis XIII, 1880 p. 324 ss.), voran. Wie ehedem soll
es noch jetzt mit einer dreimal (oder einmal für drei) ausgesprochenen monitio anheben, die
dem Beschuldigten Gelegenheit zu Buße und Besserung gibt. Für das Verfahren bei der
Römischen Rota sind maßgebend die Lex propria vom 29. Juni 1908 und die Geschäftsordnung
vom 4. August 1910 (Acta A. Sedis I, 1909 p. 20 ss. und II, 1910 p. 783 88.; vgl. oben
#s#69 S. 420 A. 3). Damach spielt sich das Verfahren schriftlich in einer verglichen mit dem
klassischen kanonischen Prozesse vereinfachten Form ab, doch so, daß vor versammeltem Turnus
(§ 69, 2) ein mündliche Ergänzung und Erläuterung (discussio, kein Plaidoyer!) durch Anwälte
zulässig ist, während im übrigen und grundsätzlich ein Anwaltszwang nicht besteht und die Parteien
nur herkömmlicher Weise der zugelassenen Advokaten und Prokuratoren sich bedienen. Ponens
oder relator causae ist der Vorsitzende des Turnus, vor dem verhandelt wird. Als Unter-
suchungsrichter amtet ein Auditor aus einem anderen Tumus. Für das Verfahren vor deutschen
Offizialaten vgl. z. B. die Geschäftsanweisung für das bischöfliche Offizialat in Paderborn (von
Bischof K. J. Schulte), 1911.
Hinschius Kr. VI K 359—370; München, Das kanonische Gerichtsverfahren, 2 Rde.,
Lga, Praelectiones in textum iuris canonici de indiciis ecclesiasticis, 4 vol., 1896
bis 1901; Périss, La procédure canonique moderne dans les causes disciplinaires et crimi-
nelles, 1898; Heiner, Der kirchliche Strafprozeß, 1912, lat. von Wynen, 1912; Arndt, Die Sus-
pension ex informata conscientia, A. f. k. Kr. LXXIII, 1895; Bourret, Des sentences ecclé-
siastigues dites „de conscience informée“, 1909; Boriero, Manuale teoretico-pratico per
rocesso canonico-criminale e diseiplinere, 1909; Sasse, Der Straf= oder Kriminalprozeß im
ranziskanerorden, D. Z. f. Kr. XXIII, 1913. ·
Die streitige Gerichtsbarkeit ist heutzutage nur noch von Bedeutung für Streitigkeiten
von Geistlichen und kirchlichen Instituten untereinander sowie für Ehesachen, in allen diesen
Fällen aber bloß, falls die Betreffenden den kirchlichen Spruch, wozu sie kirchlich verpflichtet
sind, nachsuchen und ihm nachleben. Denn staatlich rechtswirksam ist er nicht und infolgedessen
auch nicht mit staatlichen Mitteln vollstrecbar. In Preußen wird dabei bisher auf Grund eines
Dekrets des Sant' Offizio vom 16. September 1891 in Ehesachen verfahren gemäß einer In-
stiuktion, die von der Propaganda 1883 für die Vereinigten Staaten von Nordamerika erlassen
worden war (fast wörtlich = Acta S. Sedis XVIII, 1885 p. 344 ss. für die Bischöfe des
orientalischen Ritus) und nach einem Dekret des Sant' Oflizio vom 5. Juni 1889, welches ins-
besondere bei gewissen, leicht zu beweisenden Hindernissen ein summarisches Verfahren und
eine Entscheidung in bloß einer Instanz zuläßt. Vor der Rota wird nach den im ersten Absatz
dieses Paragraphen angeführten Bestimmungen verfahren.
Endemann, Civilprozeßverfahren nach der kanonistischen Lehre, Zeitschr. f. der
Civilprozeß XV, 1891; B “ ie -u er der zilune en ge, 3 1(6 allscheupschen
nicht vollzogenen Ehen durch den heiligen Stuhl, A. f. k. Kr. LXXVI, 1896; Heiner, Der kirch-
liche Zivilprozeß, 1910; Kaas, Geistliche Gerichtsbarkeit (#§ 42 S. 361 A. 1).
Siebentes Kapitel.
Das Amterrecht.
§ 93. Arten, Errichtung, Veränderung und Aufhebung der Kirchenämter.
Kirchenamt (ofkicium ecelesiasticum) ist ein abgegrenzter kirchlicher Wirkungskreis, der
regelmäßig einem kirchlichen Beamten zur Besorgung übertragen wird. Bei den alten, aus
der Feudalperiode herrührenden Amtern verbindet sich mit dem ofkicium das benelicium (bene-
: Es ist bisweilen auch staatlich vorgeschrieben, für die Suspension z. B. in Preußen, Württem-
berg und Hessen, so daß daselbst ex informata conscientia (6 40, 7) eine Suspension nicht mehr
verhängt werden kann.