Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Fünfter Band. (5)

44 F. Wachenfeld. 
Delikten und in verschiedener Weise verwendet. Es tilgt z. B. bei fahrlässiger falscher Aussage 
der Widerruf (§ 163 StGB.), bei strafbarer Herausforderung das Abstehen vom Zweilampf 
(5 204 StGB.), bei der Brandstiftung das Löschen des Brandes (5 310 StGB.) die Sttafe. 
Als tätige Reue bezeichnet man vielfach auch den Rücktritt vom Versuch. Wäre diese 
Auffassung zutreffend, so verdiente allerdings die tätige Reue zu den allgemeinen Strafauf- 
hebungsgründen gezählt zu werden. Aber sie erfordert begrifflich die Vornahme einer be- 
sonderen Tätigkeit. Darum könnte höchstens der Rücktritt vom beendeten Versuche als 
allgemeiner Strafaufhebungsgrund erscheinen. Doch auch diesen behandelt das positive Recht 
als Strafausschließungsgrund (vgl. 8 46 StGB.). 
III. Begnadigung. Die starre Regel des Gesetzes kann die Individualität des 
Einzelfalls nicht gebührend berücksichtigen. Sie muß auch Handlungen umfassen, für welche 
die nach ihr verwirkte Strafe zu hart ist. Das Mittel, hier auszugleichen, ist die Gnade, d. i. 
die Strafaufhebung durch einen aus Billigkeitsgründen gebotenen Verzicht auf die Aufrecht- 
erhaltung des Strafanspruchs. 
Da der Strafanspruch dem Staat zukommt und im Namen des Staates geltend gemacht 
wird, kann nur das Staatsoberhaupt begnadigen, also soweit das Reich Strafgerichtsbarkeit 
besitzt, der Kaiser als Repräsentant der verbündeten Regierungen, außerdem die Landesherren 
bzw. die Senate der Freien Städte. Die Auslübung des Begnadigungsrechts ist übertragbar. 
Von dieser Möglichkeit ist namentlich für den Statthalter von Elsaß-Lothringen Gebrauch ge- 
macht (Gesetz vom 4. Juli 1879, Verordnung vom 28. September 1885, 5. November 1894). 
Das Begnadigungsrecht steht de m Staatsoberhaupt zu, in dessen Landen das erstinstanzliche 
Gericht liegt. Für die Strafsachen, welche das Reichsgericht in erster Instanz entscheidet, besitzt 
es der Kaiser. 
Unter den Begriff der Begnadigung faßt man drei verschiedene Begnadigungsarten 
zusammen: 
a) Abolition, d. i. Niederschlagung der Strafverfolgung. Sie macht es dem Unschuldigen 
unmöglich, seine Nichtschuld öffentlich darzutun. Daher ist sie in den meisten Bundesstaaten 
beschränkt oder gar beseitigt. Dem Kaiser ist sie gänzlich versagt (vgl. den Ausdruck „erkannt 
hat" in § 484 St PO.). 
b) Begnadigung i. e. S., das ist gänzlicher oder teilweiser Erlaß der Strafe. Dieses 
Recht schließt es in sich, die Strafe in eine mildere zu verwandeln. Selbstverständlich muß sich 
diese in das positivrechtliche Strafensystem einfügen lassen, darf also nicht der Art oder dem 
Maße nach davon abweichen. Sind mehrere Strafen verwirkt, kann sich die Begnadigung auf 
Erlaß einer Strafe beschränken. Auch ist es möglich, nur die Nebenstrafe zu erlassen, z. B. 
die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte (sog. Rehabilitation). 
c) Amnestie, d. i. Massenbegnadigung, Niederschlagung und Straferlaß in bezug auf 
ganze Klassen von Verbrechern, wie sie aus Anlaß allgemeiner festlicher oder politischer Ereignisse, 
z. B. einer Thronbesteigung, eines Gedenktages, häufig sind. Obwohl in der Amnestie auch 
eine Abolition liegt, ist diese hier unbedenklich, da sie der persönlichen Beziehungen entkleidet sst. 
Nur die Begnadigung i. e. S. ist ein reiner Strafaufhebungsgrund, der das Verbrechen 
an sich nicht beseitigt und lediglich für die einzelne Person Straffreiheit bewirkt. Abolition und 
Amnestie dagegen beseitigen zugleich die rechtliche Existenz des Verbrechens, so daß dieses weder 
für die Bestrafung eines Teilnehmers, noch für die Berechnung des Rückfalls in Betracht kommt. 
IV. Verjährung. Auf den ersten Blick ist es auffallend, daß durch bloßen Ablauf 
einer längeren Zeit der Strafanspruch getilgt wird. Aber dies ist vollkommen gerechtfertigt. 
Zur Begründung bedarf es keiner Untersuchung über die Anerkennung der Zeit als einer 
tilgenden Macht. Der Strafanspruch fällt einfach deshalb weg, weil die Bestrafung nach einer 
längeren Zeit, in der selbst das Andenken an die Tat zurücktritt, ihren Zweck verfehlen würde. 
Diesem Umstand Rechnung tragend, hebt die Rechtsordnung den lange Zeit tatsächlich nicht 
realisierten Anspruch gänzlich auf. 
Das positive Recht kennt zwei Arten der Verjährung: eine Verjährung derverwirkten 
und eine Verjährung der erkannten Strafe. Jene nennt man Strafverfolgungs-, diese 
Strafvollstreckungsverjährung. Noch fehlt eine dritte Art, eine Verjährung der verbüßten
	        
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