Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Fünfter Band. (5)

Völkerrecht. 491 
soweit sie die durchgreifende Herrschaft der Staatsgewalt hinderten. Es wird ein allgemeines, 
für alle Staatsgenossen gleichmäßig geltendes Landesrecht möglich; 
3.z die Einheitlichkeit der militärischen Gewalt. Der Staatsgewalt ist jedermann gleich- 
mäßig unterworfen; von ihr wird jedermann gleichmäßig geschützt. Bewaffnete Selbsthilfe 
und Privatkriege werden verboten. Der Staat aber schafft sich ein „von dem Zufall der Lehns- 
treue unabhängiges“ Heerwesen. 
In Deutschland hat sich dieser Umschwung nur innerhalb der einzelnen reichsständischen 
Territorien, auch hier aber im wesentlichen erst nach dem Dreißigjährigen Kriege vollzogen. 
In dem Maße, in welchem die Staaten im Innermn sich zusammenschlossen, erlangten sie 
die Kraft zu auswärtiger Politik. Es beginnen die Kämpfe um Erhaltung des europäischen 
Gleichgewichts. 
II. Das Völkerrecht im Reformationszeitalter bis zum West- 
fälischen Frieden. Mit der Ausbildung des modernen Staats vollzieht sich die des 
völkerrechtlichen Subjekts. Es ist der Staat; er allein ist es. Wie im Innern, so untersagt er 
seinen Untertanen auch den Krieg nach außen hin. Daß die Völkerrechtsfähigkeit des Staats 
nicht an seine oder seines Herrschers Legitimität geknüpft sei, stand wenigstens in Italien fest. 
Aber auch die Königin Elisabeth hatte bereits 1578 einen ständigen Gesandten bei den General- 
staaten, noch ehe sie deren Souveränität formell anerkannt hatte (Krauske 108). In Deutsch- 
land gewährte der Religionsfriede von Augsburg 1555 den Reichsständen, nicht den Unter- 
tanen, freie Wahl zwischen augsburgischer und katholischer Konfession, erkannte mithin grund- 
sätzlich beide als gleichberechtigt an. 
Unter den völkerrechtsfähigen Staaten ergaben sich Unterschiede daraus, daß ein Teil 
von ihnen noch in lehnrechtlicher Abhängigkeit von anderen stand. Den Titel ambasciatore 
erkannte Karl V. nur den Gesandten von Königen und der Republik Venedig zu, nicht den Ver- 
rettern von Staaten und Fürsten, deren Souveränität durch irgendein Lehnsverhältnis be- 
schränkt wäre. Im 17. Jahrhundert wollten die Generalstaaten nur hinter gekrönten Häuptem 
und Venedig zurückstehen; vor den abhängigen deutschen Kurfürsten beanspruchten sie den Vor- 
rang (Krauske 155, 214). 
Die wichtigste Rechtsbildung in dieser Periode ist neben dem modernen Staat selbst seine 
Folgeerscheinung: das ständige Gesandtschaftswesen. Mit dem Einheitstaat in Italien entstanden, 
vomehmlich von Venedig ausgebildet, hat sich die neue Einrichtung im Zeitalter Ferdinands 
des Katholischen in Spanien, Frankreich, England und Osterreich eingebürgert. Gegen Ende 
des 16. Jahrhunderts drang sie zu den nördlichen Ländern vor; im 17. Jahrhundert wurde sie 
auch hier allgemein üblich (Krauske). 
Das ständige Gesandtschaftswesen erleichterte den Abschluß von Staatsverträgen ungemein, 
führte aber zu einer wichtigen Neuerung auf diesem Gebiete. Früher hatte die dem Unter- 
händler erteilte Vollmacht genügt, um den Fürsten bzw. den Staat zu verpflichten. Ferdinand 
der Katholische hat 1503 wohl zuerst den Grundsatz aufgestellt: der von seinem Gesandten ab- 
geschlossene Vertrag binde nur, nachdem er von ihm, dem König, noch genehmigt sei. Vom 
Standpunkt der damaligen Zeit aus mag das Verhalten des katholischen Königs als Rechts- 
bruch oder Treulosigkeit erscheinen. Die Staatspraxis ist ihm aber gefolgt, weil sein Grundsatz 
den Bedürfnissen des Staats entsprechend befunden wurde. 
Einzelne Materien des Völkerrechts, vor allem das Kriegsrecht, auch das Gesandtschafts- 
und Zeremonialwesen, Bündnisse und Repressalien, werden in dieser Periode oft zum 
Gegenstand wissenschaftlicher Bearbeitung gemacht. Hugo Grotius aber in seinem 1625 ver- 
öffentlichten Werke de jure belli ac pacis libri tres erfaßt nicht nur das Völkerrecht als eine Ge- 
samtheit zusammenhängender Rechtsvorschriften, sondem macht diese Erkenntnis zum Gemein- 
gut der Menschheit. 
III. Das Völkerrecht vom Westfälischen Frieden bis zum Wiener 
Kongreß (1648—1815). Gegen die Zersplitterung der Kräfte im ständischen Staat des 
Mittelalters hatte das Reformationszeitalter durch Schaffung des Einheitstaats in gesunder 
Weise reagiert. Die Blüteperiode des fürstlichen Absolutismus führte den Gedanken der Staats- 
allmacht in rücksichtsloser Weise durch. Sie überspannte ihn, sofern die persönliche All- und
	        
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