Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Fünfter Band. (5)

492 Paul Heilborn. 
Übermacht des Herrschers zu einer Identifizierung seiner Interessen mit denen des Staats führte. 
Das Wort „L’'Etat c'est moi“ ist typisch. Nach Belieben griff der Staat in die Interessen seiner 
Bürger ein, wo sein eigener Vorteil es zu gebieten schien (Verkauf deutscher Untertanen zum 
Dienst in der englischen Armee). Aber er förderte sie auch nach Kräften, wenn dieser es gebot: 
die staatliche Handelspolitik spielte eine große Rolle. In Frankreich führte Colbert das. 
Merkantilsystem mit viel Geschick durch; in England fand es seine Verkörperung in der be- 
rühmten Navigationsakte Cromwells von 1651. 
Eine Staatsgewalt, die sich im Innern alles erlaubt, ist nicht gewillt, sich nach außen him 
Schranken aufzuerlegen: Mazarins Theorie von den natürlichen Grenzen Frankreichs, die 
Reunionen Ludwigs XIV. Das Völkerrecht war noch nicht sehr gefestigt; seine Entwicklung weist 
wenig große Momente auf. Wenn die Diplomaten zusammenkamen, so bewährte sich das Zeit- 
alter der Allongeperücke und des Zopfes vor allem in endlosen Rang= und Etikettestreitigkeiten. 
Immerhin ist manches Wichtige erreicht und manches Samenkom in die Erde gesenkt worden, 
welches im 19. Jahrhundert zur Blüte kommen sollte. 
Der Westfälische Friede ist der erste europäische Staatsakt. An den Verhandlungen nahmen 
fast alle wichtigen Staaten teil. Förmlich anerkannt wurde die Unabhängigkeit der Schweiz 
und der Niederlande, d. h. zweier Verbände von Staaten, welche sich im Wege der Empörung 
gebildet hatten. Für Deutschland wurde die Gleichberechtigung der drei Konfessionen und die 
Fähigkeit der Reichsstände zur Eingehung von Bündnissen — nur nicht gegen Kaiser und Reich, 
den Landfrieden und den Westfälischen Frieden — ausgesprochen. Durch die Vereinbarung 
mit Frankreich und Schweden erhielten diese Bestimmungen völkerrechtliche Bedeutung. Frank- 
reich und Schweden, ein katholischer und ein protestantischer Staat, verbürgten sich ebenmäßig 
für die Aufrechterhaltung der religiösen Gleichberechtigung und erklärten jeden Widerspruch 
für nichtig, möge er von geistlicher oder weltlicher Seite, aus dem Reich oder von außerhalb her 
erhoben, auf kanonisches Recht oder Konzilienschlüsse gestützt werden. (Instr. Pacis Osnabr. 
Art. 5 §5 1, Art. 17 §J 2, Dumont VI 1, 473, 488.) Die Ansprüche des Papstes waren beiseite 
geschoben. Der Protest Innozenz' X. vom 26. November 1648 (ebenda 463) konnte daran nichts 
ändern. — Mit der Bündnisfähigkeit war den Reichsständen auch die zur Kriegführung gegeben; 
sie hatten beschränkte völkerrechtliche Rechtsfähigkeit erlangt. Ihre Staatsgewalt wurde als 
Landeshoheit bezeichnet. Den Ausdruck „Souveränität"“ hatte der Kaiser ausdrücklich zurück- 
gewiesen, weil er allein Souverän im Reiche sei. (Mejer: Einleitung in das deutsche Staats- 
recht (2), § 21 A. 13.) 
Nach dem zu Münster und Osnabrück gegebenen Beispiel haben die Staaten sich fortan 
oft zur Beratung gemeinsamer Angelegenheiten auf Kongressen vereinigt: Pyrenäenkongreß 
1659, Aachen 1668, Nymwegen 1678, Ryswick 1697, Utrecht 1713, Aachen 1748. Es wurde 
regelmäßige Staatspraxis, Fragen von allgemeiner Bedeutung in dieser Weise zu behandeln. 
Der Kreis der Völkerrechtsgemeinschaft wurde erweitert, als Rußland seit Peter dem 
Großen sich regelmäßig und aktiv an den europäischen Staatsangelegenheiten beteiligte. Das 
Verhältnis zur Türkei erfuhr wesentliche Anderungen. Nach der Schlacht von Zenta (1697) 
hörten die Osmanen auf, von Tributen zu reden; in den Besprechungen über den Frieden von 
Karlowitz (1699) unterwarfen sie sich einer regelmäßigen Unterhandlung mit der anderen, als 
gleichberechtigt anerkannten Partei (Ranke a. a. O. 57, 80). Zu Passarowitz wurde im Jahre 
1718 neben dem Friedensvertrage ein regelrechter Handels= und Schiffahrtsvertrag für den 
wechselseitigen Verkehr zwischen dem Kaiser und dem Sultan geschlossen, während die früheren 
Kapitulationen immer nur die Stellung der Untertanen christlicher Mächte in der Türkei ge- 
regelt hatten. Von einem „ewigen“ Frieden war noch keine Rede. Mit den Ungläubigen ver- 
einbarten die Muselmanen höchstens Waffenstillstände auf bestimmte Zeit. Die Friedensverträge 
von Karlowitz und Passarowitz wurden teils schon als solche, teils als armisticia bezeichnet und 
sollten nur 25 bzw. 24 Jahre in Geltung sein. Im Laufe des 18. Jahrhunderts hat sich dann 
die Türkei zum Abschluß regelrechter Friedensverträge verstanden. 
Die republikanische Regierung Englands mußte sich ihre Anerkennung erringen. Cromwell 
wurde allgemein als „Vater der Illoyalität“ betrachtet (Ranke). Neben Spanien gebärdeten 
sich namentlich die selbst aus der Revolution hervorgegangenen Generalstaaten als die Wächter 
der Legitimität. Die Macht des Protektors siegte indessen über diese Vorurteile. Bald wurden
	        
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