Bölkerrecht. 493
seine Gesandten allgemein empfangen; 1654 konnte er mit Schweden, 1657 mit Frankreich ein
Bündnis schließen.
Die auf Erhaltung des europäischen Gleichgewichts gerichtete Politik erhielt ihre theo-
retische Begründung namentlich durch Fenelon. Nach seiner Lehre darf kein Staat eine solche
Übermacht erlangen, daß Freiheit und Unabhängigkeit der anderen dadurch gefährdet werden;
um es zu verhindern, dürfen die bedrohten Staaten sich verbünden; selbst wenn die Übermacht
in rechtmäßiger Weise erworben werde, müsse das Recht des einzelnen dem natürlichen Recht
aller auf Sicherheit nachstehen. Fénelon wollte hiermit nur die Verteidigung rechtfertigen.
Seine Theorie lieferte aber einen bequemen Deckmantel für gewinnsüchtiges Vorgehen. Gegen
jede im Wege rechtmäßiger Thronfolge, durch Heirat oder Erbvertrag herbeigeführte Gebiets-
vergrößerung konnte interveniert werden; man behauptete ein Recht, sie zu untersagen, oder
man forderte „Kompensationen". Ihre Erlangung war nicht selten das Ziel der Wünsche.
In Verbindung mit dem Merkantilsystem führte der Gedanke der Staatsallmacht zu dem
Bestreben, den fremden Verkehr im Inland nach Möglichkeit zu beschränken, den eigenen Ver-
kehr mit dem Ausland aber zu kräftigen. Nach der Navigationsakte vom Jahre 1651 durften
überseeische Waren in England nur auf englischen, europäische Waren auch nur auf englischen
oder auf den Schiffen des Landes eingeführt werden, in dem diese Waren ihren Ursprung hatten.
Der Schiffahrtsverkehr auf den Flüssen war schon in früheren Zeiten mit hohen Zöllen belastet
worden. Mit dieser Einnahmequelle begnügte man sich nicht mehr. In den Hauptverträgen
von Münster und Osnabrück wurde zwar die Freiheit der Schiffahrt auf Rhein und Weser unter
den alten Bedingungen und Zöllen anerkannt; nach ihrem Vertrage mit Spanien vom 30. Ja-
nuar 1648 Art. 14 waren die Niederlande aber berechtigt, die Schelde, die Kanäle von Sas und
Zwyn, sowie andere Mündungen daselbst zu sperren, d. h. jeglichen Verkehr zwischen Antwerpen
und dem Meere zu hindern (Dumont VI 1 S. 431). Die Schiffahrt durch Sund und Belte ge-
stattete Dänemark nur gegen Erlegung hoher Zölle. Während England und die Niederlande
den fremden Handel im eigenen Lande nach Möglichkeit unterdrückten, waren sie, wie auch
Schweden, eifrig bestrebt, den Sundzoll zu beseitigen. Schweden war 1645—1720 von ihm
befreit, die Holländer nur 1649—1653. Die Bemühungen waren immer nur auf Sonder-
vorteile, nicht auf allgemeine Freiheit der Schiffahrt gerichtet. Im Jahre 1649 bedangen sich
die Holländer ausdrücklich aus, daß die ihnen zugestandene Befreiung vom Zolle keinem anderen,
nicht bereits befreiten Staate gewährt würde. Der Unterdrückung des fremden Handels dienten
auch die Ansprüche auf „Eigentum“ an größeren Teilen des Ozeans. England hat sie in dieser
Periode mit besonderem Nachdruck zur Geltung gebracht. Die Ausbreitung des eigenen Handels
im Auslande wurde durch Verträge gefördert. Für den Schutz der Untertanen mußte aber auch
gesorgt werden; das Gesandtschafts- und Konsularwesen diente diesem Zweck. Letzteres
war im Mittelalter nur eine Angelegenheit der freien Städte gewesen. Nunmehr bestellten
die größeren Staaten Konsuln im Auslande; der Konsul wird Beamter des Heimatstaats. Vor-
bildlich war die französische Marineordonnanz von 1681.
Die bedeutendsten Umwandlungen haben sich im Kriegsrecht vollzogen.
1. Der Kriegsgefangene war im Mittelalter häufig Privatgefangener desjenigen, der
sich seiner Person bemächtigt hatte. Jedenfalls hing, von besonderen Fällen abgesehen, sein
Schicksal ganz vom Willen des Gewalthabers ab. Die Freiheit erlangte er regelmäßig nur gegen
Lösegeld. Dies konnte während des Krieges, mußte aber keineswegs bei dessen Beendigung
geschehen. Mit dem Verschwinden der Privatkriege und dem Aufkommen der Staatsheere
gerät der Gefangene in die Gewalt des feindlichen Staats allein. Dieser hat über ihn zu be-
stimmen und erhält das Lösegeld. Von mittellosen Söldnern konnte es nicht erpreßt werden:
wohl aber hatte der Staat ein Interesse, seine in Gefangenschaft geratenen Truppen bald-
möglichst wiederzubekommen. Er zahlt also das Lösegeld. Schon während des Krieges werden
mitunter Kartelle über die Auswechslung von Gefangenen geschlossen. In den Friedensverträgen
wird die Freilassung aller Gefangenen, zunächst gegen, später auch ohne Lösegeld, bedungen.
Die Gefangennahme feindlicher Personen geschieht nicht mehr zum Zweck der Bereicherung,
sondern lediglich zur Schwächung der feindlichen Kriegsmacht. Mit Beendigung des Krieges
fehlt demnach jeder Titel zur Aufrechterhaltung der Gefangenschaft. So wurde in der zweiten
Hälfte des 17. und im 18. Jahrhundert die Entwicklung des modemen Grundsatzes angebahnt: