Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Fünfter Band. (5)

494 Paul Heilborn. 
der Gefangene darf nicht getötet werden; mit Beendigung des Krieges sind alle Gefangenen 
freizulassen. 
2. Die friedliche Bevölkerung des feindlichen Landes. Die von den Heeren Ludwigs XIV. 
begangenen Greueltaten sind bekannt; auch während des Siebenjährigen Krieges verübten 
Russen und Osterreicher noch viele Grausamkeiten. Im 18. Jahrhundert wurde es aber Gumd- 
satz: die kriegerische Gewalt wendet sich im Landkriege vornehmlich gegen die feindlichen An- 
griffs= und Verteidigungsmittel, d. h. gegen das feindliche Heer und die Befestigungen, nicht 
gegen die friedliche Bevölkerung des feindlichen Landes. Sofemn sie sich wirklich friedlich ver- 
hält, ist sie in ihrer Person und in ihrem Eigentum nach Möglichkeit zu schützen. (Vattel III 8 
§#§ 145/8. — ALR. 19 §8 197. — Vertrag zwischen Preußen und den Vereinigten Staaten vom 
10. IX. 1785 Art. 23; Martens, Recueil (2), IV 47.) Mit dem Gedanken des Einheit- 
staats und des Staatskrieges wurde es anderseits unvereinbar, daß ein Teil des Volks selbständig 
über sein Schicksal entschied. Aus der Übergabe einer feindlichen Stadt konnte der Sieger nicht 
mehr das Recht zu deren Einverleibung in sein Gebiet herleiten. 
3. Die Neutralität. Dem Kriegführenden ist jedes Mittel willkommen, welches ihm zum 
Siege verhilft, mag es den Feind oder einen Dritten treffen. Die Klugheit gebietet indessen 
oft eine Beschränkung der kriegerischen Gewalt auf den Feind. Rechtlich wurde ihre Ausdehnung 
auf die am Kriege nicht teilnehmenden — neutralen — Staaten erst in neuerer Zeit unzulässig. 
Die Neutralität hat sich im Anschluß an den modernen Staat und dessen Territorialgewalt ent- 
wickelt. Wer am Kriege nicht teilnimmt, will ihn auch von seinem Gebiet fermhalten. Schon 
im Zeitalter der Königin Elisabeth war der Begriff der Neutralität wohlbekannt. Im Frieden 
von Münster (§ 3) versprachen der Kaiser und der König von Frankreich, die wechselseitigen Feinde 
in keiner Weise zu unterstützen (Dumont VI 1 S. 451). Der Ausgangspunkt der Neutralität, 
die Nichtteilnahme um Kriege, wurde darin erblickt, daß der Neutrale dem einen Kriegführenden 
keine Begünstigung angedeihen lassen dürfe, welche dem Gegner schaden könne; folglich konnte 
er beiden Teilen die nämliche Begünstigung erweisen, ihnen z. B. die Benutzung seines Ge- 
biets, insbesondere den „unschuldigen“ Durchmarsch gestatten. Mit der Unparteilichkeit wurde 
es noch nicht sehr streng genommen. Einzelne, nur dem einen Kriegführenden erwiesene Be- 
günstigungen wurden als unvollständige Neutralität entschuldigt. Der Benachteiligte durfte 
sie hinderm, die Neutralität selbst aber nicht in Frage stellen. Nur langsam brach sich der Grund- 
satz Bahn, daß eigentliche Kriegsakte, Schlachten, Wegnahme von Schiffen, in neutralem Gebiet 
schlechthin unzulässig sind. 
Mächtige Staaten benutzten den Seekrieg gern, um auch den Handel der Neutralen em- 
pfindlich zu schädigen: die sämtlichen Küsten des Feindes wurden auf dem Papier für blockiert 
erklärt, die dorthin segelnden neutralen Schiffe als Blockadebrecher weggenommen. Waren, 
deren der Feind bedurfte, wurden zur Kriegskonterbande gestempelt und ihre Zuführung den 
Neutralen untersagt. Für den Fall, daß neutrales Gut auf feindlichem Schiff oder feindliches 
Gut auf neutralem Schiff verfrachtet war, hielt England das schon vom Consolato del mare 
aufgestellte System fest: feindliches Gut ist auf neutralem Schiff der Wegnahme unterworfen, 
neutrales Gut auf feindlichem Schiffe frei. Die französische Praxis handhabte lange Zeit hin- 
durch folgende Regel: wenn Schiff oder Ladung feindlich ist, so sind beide zu konfiszieren; 1744 
wurden neutrale Schiffe für frei erklärt, auch wenn sie feindliches Gut führten; doch wurde 
diese Regel nur auf diejenigen Staaten angewendet, mit denen sie vereinbart war. (Vgl. Perels: 
Das internationale öffentliche Seerecht /2) 225/26.) Für die Neutralen war sowohl die englische 
wie die französische Praxis nachteilig; am schlimmsten aber war, daß die beiden Seemächte ver- 
schiedenen Grundsätzen huldigten, und daß es seit der Niederzwingung der holländischen Seemacht 
keinen Staat gab, der auch nur einer jener beiden Mächte zur See gewachsen war. Eine Ber- 
einigung der anderen Staaten konnte allein Wandel schaffen. Das beabsichtigte Rußland, als 
es im Jahre 1780 die „erste bewaffnete Neutralität“ mit Schweden und Dänemark zustande 
brachte. Es wurden folgende Sätze aufgestellt: 1. Der neutrale Seehandel mit den Plätzen 
der kriegführenden Staaten ist frei. 2. Mit Ausnahme der Kriegskonterbande ist feindliches 
Gut auf neutralem Schiff frei. 3. Kriegskonterbande sind nur die in Verträgen als solche 
anerkannten Gegenstände. 4. Ein Hafen gilt nur dann als blockiert, wenn das blockierende 
Geschwader in seiner Nähe sich aufhält, so daß die Einfahrt offensichtlich mit Gefahr verbunden
	        
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