Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Fünfter Band. (5)

496 Paul Heilborn. 
Von 1840—1878 hatte sich das europäische Konzert vornehmlich mit der orientalischen Frage 
zu beschäftigen, zunächst im Jahre 1840 mit der Auseinandersetzung zwischen dem Sultan und 
Mehemet Ali, dem Pascha von Agypten. Im Anschlusse hieran wurde durch Vertrag vom 
13. Juli 1841 die Schließung des Bosporus und der Dardanellen für alle fremden Kriegsschiffe 
vereinbart (Fleischmann 39). Nach dem Krimkriege hatte der Pariser Kongreß die Zustände 
auf der Balkanhalbinsel zu reformieren. Der Meerengenfrage und dem Schwarzen Meer wie 
auch der Donauschiffahrt galt 1871 die Londoner Konferenz. Der letzte russisch-türkische Krieg 
zog 1878 den Berliner Kongreß nach sich; er regelte von neuem die Zustände auf der Balkan- 
halbinsel. 
2. Auf den Kongressen und Konferenzen wurden im 19. Jahrhundert häufig auch objektive 
Rechtsnormen für den Verkehr der Staaten geschaffen. Von den Bestimmungen des West- 
fälischen Friedens abgesehen, hatten ähnliche Vereinbarungen aus früheren Jahrhunderten 
meist nur kurze Geltung gehabt, waren auch nur für zwei oder drei Staaten maßgebend gewesen, 
so die vielfach wiederkehrenden Festsetzungen der Kriegskonterbandeartikel. Die Sätze der be- 
waffneten Neutralität blieben auf dem Papier stehen. Im Wege ausdrücklicher Vereinbarung 
hat sich dagegen im 19. Jahrhundert eine große Anzahl von Staaten zu einer Reihe wichtiger 
Rechtsnormen auf die Dauer bekannt. Der Wiener Kongreß hat in dieser Hinsicht ein rühm- 
liches Beispiel gegeben: a) Er stellte den Grundsatz der freien Schiffahrt auf allen, das Gebiet 
mehrerer Staaten trennenden oder durchlaufenden Strömen auf und arbeitete Schiffahrts- 
akten für Rhein, Neckar, Main, Mosel, Maas und Schelde aus: Kongreßakte vom 9. Juni 1815 
Art. 108—117 und Anlage 16 (Martens: Nouv. Rec. II 427 ff., 434/49). An die Stelle der 
größtmöglichen Beschränkung des fremden Verkehrs war das Prinzip der „offenen Tür“ ge- 
treten. — b) Die Abschaffung des Negerhandels wurde im Prinzip beschlossen: Anlage 15 
(S. 432 ff.). Vgl. dazu den Veroneser Beschluß vom 28. November 1822 (ebenda VI 139). 
c) Die Rangverhältnisse der Gesandten wurden am 19. März 1815 (ebenda II 449) geregelt, 
die endlosen Streitigkeiten hierdurch so gut wie aus der Welt geschafft und für die folgenden 
Kongresse eine rein sachliche Verhandlung ermöglicht. — d) Die ewige Neutralität der Schweiz 
und Krakaus (1815—1846) wurde anerkannt; den Signatarmächten wurde jeder Angriff auf die 
neutralisierten Staaten, diesen jeder Angriff bzw. jede Beteiligung an einem Krieg dauemd 
untersagt. 
Der Sklavenhandel ist seit dem Wiener Kongreß mehrfach ausdrücklich verboten und auf 
eine Linie mit dem Seeraub gestellt worden: Londoner Vertrag vom 20. Dezember 1841 Art. 1 
(Fleischmann 41). — Art. 9 der Generalakte der Berliner Kongokonferenz vom 26. Februar 
1885 (ibid. 199). Eine umfassende Kodifikation zur Unterdrückung des Sklavenhandels und 
zur Sicherung der befreiten Sklaven wurde in der Generalakte der Brüsseler Antisklaverei- 
konferenz vom 2. Juli 1890 (ibid. 226) geschaffen. — Die Berliner Kongokonferenz, durch die 
neuen Kolonialgründungen herbeigeführt, hat fermer Schiffahrtsakten für Kongo und Niger 
ausgearbeitet und im Interesse des Kolonisationswerks dafür Fürsorge getroffen, daß der 
Kolonialbesitz in Zentralafrika nicht zum Schauplatz eines um anderer Interessen willen ge- 
führten Krieges werde. Schließlich hat sie den Gebietserwerb in Afrika an feste Regeln gebunden; 
die Bedeutung dieser Regeln dürfte über den afrikanischen Kontinent hinausreichen. 
In umfassender Weise sind neue objektive Normen auf dem Gebiet des Kriegsrechts 
entstanden. Das 1815 zuerst aufgestellte Prinzip der Neutralisienung von Staaten wurde auf 
Belgien 1831/39 und Luxemburg 1867 sowie auf einzelne Gebietsteile anderer Staaten aus- 
gedehnt: Korfu, Paxo, Suezkanal. Sodann wurden besondere Regeln über die Art der Krieg- 
führung vereinbart: die vier Sätze der Pariser Deklaration vom 16. April 1856 über das See- 
kriegsrecht (Fleischmann 57); die Genfer Konvention von 22. August 1864 über den Schutz der 
Verwundeten und Kranken im Felde sowie über den des Sanitätspersonals (ibid. 69), 
revidiert 1906; die Petersburger Deklaration vom 11. Dezember 1868 über die Verwendung 
von Sprenggeschossen im Kriege (ibid. 88). Ein am 20. Oktober 1868 unternommener Versuch 
der Verwollständigung und Ausdehnung der Genfer Konvention auf den Seekrieg blieb zunächst 
erfolglos; das nämliche Schicksal teilte der zu Brüssel 1874 ausgearbeitete Entwurf einer Kon- 
vention über das Landkriegsrecht. Die Vollendung dieses Werkes blieb den Haager Friedens- 
konferenzen von 1899 und 1907 (ReBl. 1901 S. 393, 1910 S. 5) vorbehalten. Noch über weitere
	        
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