Bölkerrecht. 497
Materien des Land- und Seekriegsrechts wurde auf ihnen ein Einverständnis erzielt. Den
Abschluß sollte eine Vereinbarung über das für Handel und Schiffahrt der Neutralen wichtige
Prisenrecht bringen; die hierüber von zehn Seemächten ausgearbeitete Londoner Seekriegs-
rechtsdeklaration vom 26. Februar 1909 und das an ihr Inkrafttreten gebundene Haager Ab-
kommen über die Errichtung eines intermationalen Prisengerichtshofs sind indessen einstweilen
am Widerstand des englischen Oberhauses gescheitert. — Außer den kriegsrechtlichen Abkommen
wurde auf der ersten Haager Konferenz noch eine Vereinbarung über die friedliche Erledigung
internationaler Streitfälle unterzeichnet; sie regelt u. a. die Errichtung eines Schiedshofs im
Haag, an welchen streitende Mächte sich jederzeit wenden können. Die zweite Konferenz hat
dieses Abkommen vewollkommnet und ihm ein noch nicht ratifiziertes Projekt der Errichtung
eines ständigen Schiedsgerichtshofs sowie ein Abkommen über die Beschränkung der Anwendung
von Gewalt bei der Eintreibung von Vertragsschulden hinzugefügt.
Die älteren der hier aufgezählten Kongresse und Konferenzen waren nur von europäischen
Staaten beschickt. Als Präsident Monroe eine europäische Einmischung in amerikanische An-
gelegenheiten zurückwies, erklärte er zugleich, die Vereinigten Staaten würden sich in Fragen
der eurppäischen Politik nicht einmischen. In Verfolg dieses Grundsatzes haben sie sich erst an
den neueren, Recht schaffenden Konferenzen beteiligt. An der Brüsseler Antisklavereikonferenz
nahmen auch der Kongostaat und Persien, an der ersten Haager Konferenz Mexiko, China, Japan
und Persien, an der zweiten 44 Staaten teil. Ihrerseits haben sich die Staaten Amerikas zu
Sonderkongressen in Washington 1889, Mexiko 1901, Rio de Janeiro 1906 und Buenos Aires
1910 vereinigt (Martens: NRGén. 3°% S. 6 114—254).
Die Kongresse sind ein hochbedeutsames Mittel für die Fortbildung des Völkerrechts geworden.
Aber die auf ihnen entfaltete Tätigkeit machte nur einen Teil dessen aus, was geleistet ist. Die Aus-
dehnung des Verkehrs auf Afrika, Asien und die Südsee erweiterte den Kreis der das Völkerrecht
anerkennenden Staaten und führte zur Bildung neuer Rechtsnormen im Wege der Gewohnheit.
In durchgreifender Weise wurde die Stellung der Menschen zu fremden Staaten refor-
miert. Die Maßnahmen zur Unterdrückung des Sklavenhandels und zur Humanisierung des
Kriegsrechts erfolgten in ihrem Interesse. Schon zu Anfang des 19. Jahrhunderts fielen die
der Bewegungs-= und Verfügungzfreiheit auferlegten Vermögensbeschränkungen: Abschoß und
Nachsteuer. Bewegungsfreiheit und Rechtsschutz genießt der Mensch in allen zivilisierten Staaten
fast unbeschränkt; auch der Religionsübung bereiten nur wenige Staaten Hindernisse. In
anderer Weise ist dem Rechtsschutz durch die zur allgemeinen Übung gewordene Auslieferung
flüchtiger Verbrecher Genüge geschehen. Darüber hinaus ist den geistigen und materiellen
Interessen der Menschen durch die sogenannte internationale Verwaltung (L. v. Stein) eine
umfassende Förderung zuteil geworden. Im Wege gegenseitiger Verständigung, freiwilliger
Selbstbeschränkung haben sich die einzelnen Staaten zu einer gemeinsamen, die Wohlfahrt ihrer
Bürger bezweckenden Tätigkeit vereinigt: Eisenbahn-, Post-, Telegraphen-- und Münzverträge,
Sanitätskonventionen, Verträge über den Schutz des geistigen und gewerblichen Eigentums,
über das internationale Privatrecht u. a. m. Im Jahre 1785 schrieb Ompteda: „Die Verträge
der Völker bestehen gewöhnlich in Friedensschlüssen und solchen Traktaten, welche sich auf Krieg
und Frieden beziehen.“ In der Gegenwart nehmen die Verkehrsverträge der Zahl nach un-
zweifelhaft den ersten Rang ein. Diese Tatsache zeigt, auf welchem Gebiet die Staaten jetzt
ihre wichtigste intermationale Aufgabe erblicken.
Indem das Völkerrecht den Staatsbürgem Bewegungsfreiheit und Schutz für ihre Person
und ihre Rechte fast auf der ganzen Erde gewährleistete, schien es bei oberflächlicher Betrachtung
kosmopolitischen Iveen zu huldigen. Das hat es nicht getan; denn es schützt nicht den Menschen
als solchen, sondern nur den Staatsangehörigen, auch ihn nicht gegen seinen Heimatstaat. Ebenso-
wenig hat es sich zu einem Recht der Rassen entwickelt, wie die Nationalitätstheorie wollte. Vgl.
Mancini: Della nazionalitä come fondamento del diritto delle genti, 1851 (Diritto inter-
nazionale. Prelezioni, Neapel 1873). Wohl hat der nationale Einheitsgedanke Staaten wie
Italien und das Deutsche Reich geschaffen. Aber der Gedanke der nationalen Unabhängigkeit
hat gemischte Staaten, wie Osterreich, in schwere innere Kämpfe verwickelt. Ihre Beendigung
im Sinne der Nationalitätstheorie würde den einzelnen kleinen Rassen nur eine scheinbare Un-
abhängigkeit gewähren. In Wahrheit müßten sie sich den mächtigen Nachbarm doch unterordnen.
Enzyklopädie der Rechtswissenschaft. 7. der Neubearb. 2. Aufl. Band V. 32