Völkerrecht. 505.
Neapel, von Preußen Hannover, Kurhessen, Hessen-Nassau und Frankfurt einverleibt. Hierher
gehört auch die dritte Teilung Polens. Die Einverleibung auf Grund eines Krieges (debellatio)
kann erst erfolgen, wenn der Krieg beendet, d. h. der Widerstand der feindlichen Truppen und
auch der des Verbündeten endgültig gebrochen, die besiegte Staatsgewalt in ihrem gesamten
Gebiet durch die des Siegers verdrängt ist. Eine frühere Einverleibungserklärung — so die
Großbritanniens vom 1. September 1900 in Ansehung der Burenrepubliken — kann nur als
suspensiv bedingte betrachtet werden (Kaufmann: Zur Transvaalfrage, Berlin 1901, S. 23 ff.).
Die völkerrechtliche Bedeutung der Einverleibung wird dadurch nicht geändert, daß dem
einverleibten, aber des Staatscharakters entkleideten Gebiet einzelne eigene Gerechtsame be-
lassen werden. Ebensowenig erhält ein einverleibtes Gebiet durch Einräumung solcher Staats-
charakter (Finnland).
III. Gebietsveränderungen und Umgestaltungen der inneren
Organisation eines Staats haben auf die völkerrechtliche Persönlichkeit keinen Einfluß.
Der Staat bleibt der nämliche; in seinen völkerrechtlichen Rechten und Pflichten tritt keine Um-
gestaltung ein.
a) Gebietserwerb und Gebietsverlust sind als Vermögenserwerb bzw. Vermögensverlust
zu betrachten. So auch die Staatspraxis; a. A. namentlich Fricker: Gebiet und Gebietshoheit,
Tübingen 1901. Gebietsveränderungen berühren die Persönlichkeit des Staats ebensowenig
wie Anderungen in dem gegenwärtigen Bestand seiner Untertanen; hier findet ein unaufhör-
licher Wechsel statt, nicht nur durch Geburten und Todesfälle, sondem auch durch Eintritt von
Ausländern in den Staatsverband, durch Austritt von Inländern aus ihm. Die Staats-
praxis hat das Königreich Italien als identisch mit Sardinien angesehen: die Rechte und Ver-
bindlichkeiten Sardiniens blieben bestehen, erstreckten sich auch auf die neuerworbenen Länder;
deren Rechtsverhältnisse nahmen dagegen ein Ende, soweit nicht Sukzession (58 53) stattfand.
Contra: Rivista 6 1 ff.
b) Umgestaltungen der inneren Organisation „ändern die Form, aber nicht das Sein“
des Staats. Handelt er nunmehr durch ein anderes Organ, so ist er doch darmm derselbe ge-
blieben. Trotz aller inzwischen eingetretenen Veränderungen ist die heutige französische Republik
mit dem Königreich des 18. Jahrhunderts identisch. Ob die Umgestaltungen auf gesetzlichem
oder revolutionärem Wege erfolgen, ist völkerrechtlich ohne Belang. Die völkerrechtlichen Rechte
und Pflichten bleiben unberührt: Les traités ne perdent pas leur puissance qduels que soient
les changements qui interviennent dans Torganisation intérieure des peuples (Londoner Pro-
tokoll vom 19. Februar 1831, Martens: N. R. 10 197; vgl. 199). Die neue Regierung muß.
die völkerrechtlich bedeutsamen Handlungen ihrer Vorgängerin anerkennen.
C. Die Organe der Staaten.
§ 10. 1. Das Staatshaupt.
Literaturangaben bei Heilborn, System 138, Ullmann 247/8, Laband, Staatsrecht 2 (5).
125. Ferner: Kaufmann a. a. O., Triepel 236 ff.; Schanzer: I diritto di Suerra e dei trattati.
negli Stati a governo Tappresentativo. Turin 1901; Walther: Das Staatshaupt in den Republiken,
Breslau 1907; Anzilotti, Rivista 5 3/46; Schoen, Z Bölk R. 5 400/431.
I. Begriff. Der Staat kann nur durch Menschen handeln. Gewisse Menschen haben
die Fähigkeit, durch ihren Willen Staatswillen zu erzeugen. Diese Fähigkeit ist ihnen durch-
Rechtssatz verliehen; eine Rechtsnorm erklärt ihren in amtlicher Eigenschaft geäußerten Willen
zum Staatswillen. Diese Menschen sind die Organe des Staats. Ihr amtlicher Wille ist kein.
vom Staatswillen verschiedener Wille. Das Staatsorgan ist nicht der Vertreter, welcher an
Stelle des Staats handelt, sonderm der Staat handelt selbst durch sein Organ.
Staatshaupt im völkerrechtlichen Sinne ist das oberste Organ des Staats für den aus-
wärtigen Verkehr. Es braucht staatsrechtlich nicht den gleichen Rang zu haben. Staatshaupt
des Deutschen Reichs im völkerrechtlichen Sinne ist jedenfalls der Kaiser. In Republiken sind
oft die Kammem oder auch das Volk selbst das oberste Staatsorgan, aber regelmäßig nicht für-