Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Fünfter Band. (5)

Völkerrecht. 511 
II. Der Protest, die Rechtsverwahrung, dient zur Erhaltung von Rechten. Er wird 
eingelegt, wenn einem Eingriff in die eigene Rechtssphäre, der Entstehung eines fremden Rechts 
vorgebeugt werden soll. Der protestierende Staat erklärt, daß er das von dem anderen Staat 
behauptete Recht, den von ihm geschaffenen Zustand nicht anerkenne. Der Protest schließt die 
stillschweigende Anerkennung aus. Er muß eingelegt werden, wenn dem Stillschweigen die 
Bedeutung einer Anerkennung zukommen würde: 
1. Staat A macht dem Staat B amtliche Mitteilung von ein m Rechtsgeschäft, z. B. von 
der Okkupation einer Insel, von dem Abschluß eines Vertrages mit C; oder er macht davon Mit- 
teilung, daß er dem B gegenüber ein bestimmtes Recht in Anspruch nehme, ein von B behauptetes 
Recht für die Zukunft nicht anerkennen werde. Nimmt B eine solche „Notifikation“ entgegen, 
so muß er Protest einlegen, wenn er die neue Rechtslage nicht anerkennen will. In der Ver- 
weigerung der Annahme kann dagegen ein Protest erblickt werden. 
2. Auch ohne vorangegangene Notifikation muß aber wohl Protest eingelegt werden, 
wenn ein Staat von einem in seine Rechte eingreifenden völkerrechtlichen Rechtsgeschäft oder 
von der Behauptung eines ihn verletzenden Rechts Kenntnis erhält. Treu und Glauben 
sfordern die Erhebung von Widerspruch; volenti non fit iniuris. Reaktion des Deutschen Reichs 
gegen den Marokkovertrag vom 8. April 1904. 
Die Wirkung des Protestes erlischt, wenn das Recht, gegen dessen Begründung er gerichtet 
wurde, nachträglich anerkannt wird. Das geschieht häufig stillschweigend: Staat A pwtestiert 
gegen die Okkupation einer Insel durch B, läßt ihn aber gewähren. Der Protest steht auf dem 
Papier. Gegen die Begründung des französischen Protektorats über Tunis im Jahre 1881 
legte die Türkei Protest ein, duldete aber später dessen Ausübung. 
III. Der Verzicht bedarf der Annahme nicht. Bei einem mit Besitz verbundenen 
Recht ist Verzicht im Zweifel erst anzunehmen, wenn der Besitz aufgegeben wird. 
§ 15. 3. Der Staatsvertrag. 
Literatur. Jellinek: Die rechtliche Natur der Staatenverträge, Wien 1880; Nippold: 
Der völkerrechtliche Vertrag, seine Stellung im Rechtssystem und seine Bedeutung für das inter- 
nationale Recht, Bern 1894; Kaufmann: Die Rechtskraft des internationalen Rechts. 
Staatsvertrag ist der zwischen zwei oder mehreren Staaten in Ausübung ihrer Herrscher- 
macht geschlossene Vertrag, nicht der Vertrag zwischen einem Staat und einer Privatperson 
oder Korporation. 
Der Vertrag — das Rechtsgeschäft wie die rechtsetzende Vereinbarung (§ 5, I) — wird 
geschlossen durch die wechselseitige Erklärung des auf denselben Zweck gerichteten, einander- 
ergänzenden oder übereinstimmenden Willens der Parteien. Die Erklärungen können wiederm 
mündlich, schriftlich oder durch konkludente Handlungen abgegeben werden. Die schriftliche 
Form ist durchaus die Regel: Auswechslung von diplomatischen Depeschen oder Briefen der 
Staatshäupter, gemeinsame Unterzeichnung eines Protokolls, Ausfertigung einer förmlichen 
Vertragsurkunde. Ob die zusammengehörigen Erklärungen in einer Urkunde zusammengefaßt 
oder in Haupt- und Nebenvertrag getrennt sind, ist unerheblich. Die in Protokollen abgegebenen 
Zusatzerklärungen bilden Bestandteile des Vertrags. Die Bedeutung mündlicher Nebenabreden 
richtet sich nach dem Willen der Parteien. 
Die Willenserklärung wird vom zuständigen Staatsorgan oder seinem hierzu bevoll- 
mächtigten Vertreter abgegeben. Die Erklärung eines nicht bevollmächtigten Vertreters bedarf 
schon nach den im § 13 dargelegten Grundsätzen nachträglicher Genehmigung. Auf Grund fest- 
stehender Praxis ermächtigt die dem Unterhändler gewöhnlich erteilte Vollmacht aber auch 
nur zur Unterzeichnung eines Vertragsentwurfs, nicht zur Abgabe einer bindenden Willens- 
erklärung. In Ermangelung einer besonderen Vollmacht zur Schließung eines Vertrags soll 
der Unterhändler nur versuchen, auf Grund der ihm erteilten Weisungen ein Einverständnis 
mit den Vertretern des anderen Staats zu erzielen; durch die Unterzeichnung eines Protokolls 
oder einer förmlichen Vertragsurkunde, durch die Auswechslung diplomatischer Depeschen wird 
nur die rechtlich noch nicht bedeutsame Tatsache des Einvcrstärdnisses der Unterhändler bezeugt.
	        
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