544 Paul Heilborn.
Vertrages sich auf einen dritten Staat erstrecken, so bedarf es des Beitritts. Der Beitritt ist
ein neuer Vertrag zwischen den ursprünglichen Vertragsparteien auf der einen und dem bei-
tretenden Staat auf der anderen Seite. Eines Beitritts bedarf es nicht, wenn ein Staat in
Vertretung eines anderen den Vertrag geschlossen hat, sei es als allgemein hierzu berufener
Oberstaat, sei es auf Grund besonderer Vollmacht.
III. Durch Staatsverträge werden grundsätzlich nur höchstpersönliche Obligationen ge-
schaffen. Ausgeschlossen sind infolgedessen: Abtretung des Forderungsrechts ohne Zustimmung
des Schuldners, Schuldübernahme ohne Einwilligung des Gläubigers und UÜbergang der Ob-
ligation auf den Rechtsnachfolger bei Untergang des Gläubiger= oder Schuldnerstaats. Bei
Übernahme einer Verpflichtung ist die Person des Gläubigers von maßgebender Bedeutung
im Staatenverkehr. Man gesteht dem einen Staat leicht etwas zu, was man dem anderen
Staat oder einer Privatperson nimmermehr gewähren würde. Eine Ausnahme greift Platz,
wenn Obligationen in engem Zusammenhang mit bestimmten Gebietsteilen stehen (Uferbau,
Flußschiffahrt, Eisenbahnverträge); sie gehen im Zweifel aktiv und passiv mit dem Gebiet über.
Das nämliche ist für Geldschulden beim Untergang eines der beiden Staaten anzunehmen. Von
diesen beiden Fällen abgesehen, erlöschen die Obligationen mit dem Untergang des Gläubiger-
oder Schuldnerstaats.
IV. Die völkerrechtlichen Obligationen erlöschen ferner nach allgemeinen Grundsätzen,
z. B. durch Erfüllung, Zeitablauf, Eintritt der Resolutivbedingung oder dauernder Unmöglich-
keit der Erfüllung. Als eigentümliche Endigungsgründe sind noch zu nennen:
a) Ausbruch des Krieges zwischen Gläubiger und Schuldner. Unberührt bleiben diejenigen
Obligationen, welche gerade für den Fall eines Krieges zu erfüllen sind: Lokalisierung des
Kriegsschauplatzes, Behandlung der wechselseitigen Untertanen. Im übrigen unterscheidet
die herrschende Lehre mit Recht zwischen politischen und wirtschaftlichen Obligationen: jene
erlöschen, diese bleiben bestehen; höchstens wird die Ausführung für die Dauer des Krieges
suspendiert.
b) Bei wechselseitigen Obligationen wird der eine Teil zum Rücktritt berechtigt, wenn
der andere Teil die ihm obliegende Leistung nicht macht. Wird ein Staat durch die Pflicht-
verletzung des anderen benachteiligt, so wäre es unbillig, ihm noch selbst die Leistung zumuten
und ihn im übrigen auf die Selbsthilfe verweisen zu wollen. Daß er so verfahren darf, ist ein-
leuchtend.
Tc) Nach durchaus herrschender Lehre darf ein Staat die Erfüllung seiner Vertragspflichten
weigern, einen geschlossenen Vertrag aufkündigen „wegen einer Veränderung derjenigen Um-
stände, welche zur Zeit des geschlossenen Vertrages schon vorhanden oder vorherzusehen und
nach der erkennbaren Absicht des Verpflichteten die stillschweigende Bedingung des Vertrages
waren“ (Heffter). Alle Verträge sollen mit der stillschweigenden Klausel: rebus sic stantibus,
geschlossen sein. Diese Lehre enthält Politik, aber keinen Rechtssatz, und darf deshalb die juristische
Konstruktion nicht beeinflussen. Als Rußland die auf dem Pariser Kongreß 1856 vereinbarte
Neutralität des Schwarzen Meeres aufkündigte, da hat es mit den anderen europäischen Groß-
mächten als einen wesentlichen Grundsatz des Völkerrechts ausgesprochen, daß kein Staat sich
einseitig von seinen Vertragspflichten lossagen oder deren Inhalt ändern könne (Protokoll vom
17. Januar 1871, Staatsarchiv 20 190). Ein Recht zu vertragswidriger Kündigung gibt es nicht.
Eine solche Kündigung ist regelmäßig ein Delikt und zieht dessen Folgen nach sich, es sei denn,
daß der Kündigende im Notstand handelt. Deshalb ist diese Lehre im Zusammenhang mit der
von den Delikten und dem Notstand (§ 51) zu behandeln. Nur das darf schon jetzt betont werden:
zwischen Nichterfüllung einer Vertrags= und einer anderen, rechtlich begründeten Pflicht besteht
kein Unterschied; deshalb kann es sich nicht um einen eigentümlichen Erlöschungsgrund völker-
rechtlicher Verträge handeln. Beim Abschluß von Handelsverträgen pflegt man mit den häufiger
auftretenden Notständen — Ausbruch von Krieg, Aufständen, Hungersnot und Seuchen —
zu rechnen und für den Fall ihres Eintritts besondere Rechte zu gewähren. Alsdann ist
zunächst nach diesen Bestimmungen zu verfahren; die allgemeinen Regeln kommen nur subsidiär
zur Anwendung.