Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Fünfter Band. (5)

550 Paul Heilborn. 
Auslegung. Weder trifft den Staat selbst noch den nach bestem Wissen entscheidenden Beamten 
ein Verschulden; 
2. wenn der Staat auch bei Anwendung gehöriger Sorgfalt (vgl. die drei Regeln von 
Walhington, Art. 6 des englisch-amerikanischen Vertrages vom 8. Mai 1871, Fleischmann 96) 
die drohende Verletzung nicht abwenden konnte, wenn seine Mittel der Gefahr nicht gewachsen 
waren. So ist es häufig bei größeren Aufständen und Bürgerkriegen. Für die den Ausländern 
von den Aufständischen zugefügten Schäden wird die Haftung regelmäßig — mit Berufung 
auf die höhere Gewalt — abgelehnt. Bei den ewig wiederkehrenden Revolutionen in Zentral- 
und Südamerika ist das Ergebnis unerwünscht, doch hat sich eine entgegengesetzte Praxis noch 
nicht zu bilden vermocht. Für rechtswidrige Handlungen seiner eigenen Organe haftet der 
Staat jedenfalls; 
3. wenn im Notstand gehandelt wurde, d. h. wenn die Verletzung des fremden 
Staats das einzige Mittel zur Abwendung einer unverschuldeten Gefahr für die „un- 
mittelbare Sicherheit oder wesentliche Interessen“ war und nicht außer Verhältnis zu 
dieser Gefahr stand. Als Hauptfälle seien genannt: Ausbruch innerer Unruhen, eines Krieges 
für das Verhältnis des kriegführenden zu dritten Staaten (Angarie, arröt de prince), 
Hungersnot, Seuchen. Die Notstandshandlung darf nicht weiter gehen, als zur Abwendung 
der Gefahr erforderlich ist: Aufkündigung eines länger dauernden Vertragsverhältnisses wäre un- 
entschuldbar, wenn eine kurze Suspension zur Beseitigung des Notstands genügt. Der durch 
die Notstandshandlung angerichtete direkte Schade (Zerstörung englischer Schiffe im deutsch- 
französischen Kriege) ist zu ersetzen; der Notstand schließt das Delikt und dessen Folgen aus, gibt 
aber dem Staat nicht das Recht, den Schaden auf fremde Schulterm abzuwälzen. Entgangener 
Gewinn wird regelmäßig nicht ersetzt. 
IV. Die Rechtsfolgen des Delikts. 1. Der schuldige Staat hat den früheren Zustand, 
wenn möglich, wieder herzustellen (Räumung des zu Unrecht besetzten Gebiets, Freilassung 
der gefangenen Personen, Verleugnung der Handlung des Beamten) und den angerichteten 
materiellen Schaden zu ersetzen: Geldentschädigung für die des Ernährers beraubte Familie. 
2. Der schuldige Staat hat außerdem im Fall der Ehrenkränkung (Martitz) noch Genug- 
tuung zu leisten; sie „besteht in einer Huldigung vor der verletzten Staatsgewalt“ (Liszt): Maß- 
regelung oder Bestrafung des schuldigen Beamten, förmlicher Ausdruck des Bedauems, Be- 
grüßung der fremden Flagge, Entsendung einer feierlichen Sühnegesandtschaft: 1901 Entsendung 
eines chinesischen Prinzen an den deutschen Kaiser. In welcher Weise im einzelnen Fall Genug- 
tuung zu leisten sei, darüber gibt es keine allgemeinen Regeln. Kommt eine Einigung nicht 
zustande, oder verweigert der schuldige Staat Schadensersatz und Genugtuung überhaupt, so 
darf der Verletzte beides durch Repressalien oder Krieg erzwingen. 
§ 52. 3. Forderungsrechte aus anderen Tatsachen. 
Aus manchen Tatsachen entstehen Forderungsrechte eines Staats gegen den andern, 
welche nicht besonderer Anerkennung bedürfen. Hauptfall ist die Geschäftsführung ohne Auf- 
trag, falls ihr nicht widersprochen wurde. Der Geschäftsführer kann Ersatz seiner Unkosten be- 
anspruchen und muß dasjenige herausgeben, was durch die Geschäftsführung in seine Hände 
gekommen ist (Staatsakten): Verpflegung der im Kriege auf neutrales Gebiet übergetretenen 
Truppen durch den neutralen Staat, Verwaltung fremden Staatsgebiets zugunsten der be- 
treffenden Staatsgewalt: Verwaltung Bulgariens durch Rußland nach dem Kriege von 1877/78. 
Vgl. auch Rev. 44 291. 
Drittes Kapitel. § 53. Die Rechtsnachfolge der Staaten. 
Literatur. Vgl. zu § 21. Cabouat: Des annexions de territoires et de leurs princi- 
pales conséquences, Paris 1881; Gabba: Successione di Stato a Stato (Quistioni di diritto civile 
(2), Turin 1885); Kiatibian: Conséquences juridiques de la transformation des Etats sur 
les traités, Paris 1892; Huber: Die Staatensuccession, Leipzig 1898; Kaufmann: 
Zur Transvaalbahnfrage, Berlin 1901; Gidel: Des effets de I’annexion sur 96% concessions, Paris
	        
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