552 Paul Heilborn.
§ 54. Einleitung.
Literatur. Wagner: Zur Lehre von den Streiterledigungsmitteln des Völkerrechts,
Darmstadt 1900; Nippold: Die Fortbildung des Verfahrens in völkerrechtlichen Streitigkeiten,
Leipzig 1907; Zamfiresco: De la médiation, Paris 1911; Wehberg: Kommentar zu dem Haager
Abkommen, betr. die friedliche Erledigung internationaler Streitigkeiten, vom 18. Oktober 1907
(1. Beiheft zum Arch Offr.), Tübingen 1911; Rev. Gén. 17 136.
Die Staatsstreitigkeiten sind teils rechtlicher, teils politischer Natur. Das Verfahren zu
ihrer Beilegung wird vom Völkerrecht insoweit geregelt, als es sich nicht auf rechtlich gleich-
gültigem Gebiet bewegt.
1. Auch politische Streitigkeiten können in einer vom Recht geordneten Weise beigelegt
werden. Die politischen und wirtschaftlichen Macht= und Interessengegensätze vermag das
Völkerrecht nicht aus der Welt zu schaffen; es kann deshalb die zu ihrer Ausgleichung dienenden
Mittel — Intewention und Krieg — nicht schlechtweg untersagen. Wohl aber kann es die An-
wendung dieser Mittel regeln, ihren Gebrauch an die Beobachtung bestimmter Formen binden.
Die hierfür ausgebildeten Normen kommen zur Anwendung, wenn ein Staat zur Selbsthilfe
im Wege der Intewention oder des Krieges schreitet, mag er einen Rechts= oder einen politischen
Anspruch verfolgen.
2. Wie Privatpersonen, so können auch Staaten ihre Streitigkeiten auf rechtlich gleich-
gültigem Wege beilegen. Der schließlich zustande gekommene Vertrag hat zwar rechtliche Wirk-
samkeit; aber die zu ihm führenden Schritte sind bedeutungslos, weil sie sich innerhalb der all-
gemeinen Freiheitsphäre bewegen. Aus einer Darstellung des Völkerrechts sind deshalb aus-
zuschließen:
a) die guten Dienste: nach Abbruch der direkten Verhandlungen unter den streitenden
Staaten sucht eine dritte Macht sie zu deren Wiederaufnahme zu bewegen;
b) die Vermittlung. Eine Verpflichtung zur Annahme des vom Vermittler gemachten
Vorschlags besteht ebensowenig wie eine Verpflichtung, die Waffen oder auch nur die Kriegs-
rüstungen bis zur Beendigung der Vermittlungstätigkeit ruhen zu lassen, es sei denn das Gegen-
teil besonders vereinbart. er gute Dienste und Vermittlung vgl. das Haager Abkommen
zur friedlichen Erledigung internationaler Streitfälle vom 18. Oktober 1907 Art. 2—8.
e) die Retorsion: Erwiderung einer Unbilligkeit mit einer zweiten; die erste Unbilligkeit
soll damit vergolten, ihr Urheber zu deren Abstellung veranlaßt werden. Eine sehr gewichtige
Waffe! Aber die Retorsionshandlung ist an sich erlaubt; sie kann also vorgenommen werden,
ohne daß ihr eine Unbilligkeit voraufgegangen wäre. Hauptbeispiel sind die Zollkriege zwischen
Staaten ohne Zollvertrag.
§ 55. I. Das gütliche Verfahren.
Haager Abkommen zur friedlichen Erledigung internationaler Streitfälle vom 18. Oktober
1907 Art. 9—90. Traités généraux d'arbitrage communiqués au bureau international de la
cour permanente d'’arbitrage, 1. Serie, Haag 1911.
Literatur. Boghitchevitch: Die Enquste-Kommissionen, Festgabe für Hübler 1905;
Rev. Gén. 12 161, 351, 19 149. Zur Einführung in die sehr umfangreiche Schiedsgerichts-Literatur
vgl. das Verzeichnis in dem zit. Kommentar von Wehberg und in dessen „Problem eines inter-
nationalen Staatengerichtshofs“. — Lapradelle und Politis: Recueil des arbitrages internationaux 1,
Paris 1905; Lammasch, Jahrb. des öffentl. Rechts 1912; Ralston: International arbitral law and
rocedure, Boston u. London 1910; Balch: International courts of arbitration (4), Phila-
velrhia 1912; BöhmsZ. 19 497; ZVölkR. 6 219; Rev. 26 204, 42 595; Rev. Gén. 6 533,
16 437, 689.
Nichtpolitische Staatsstreitigkeiten beruhen auf einer Meinungsverschiedenheit über die
tatsächlichen Vorgänge oder (bzw. und) deren rechtliche Beurteilung. Hieraus ergeben sich die
zur gütlichen Erledigung dienlichen Mittel:
I. Die Einsetzung einer internationalen Untersuchungskom-
mission zur Erleichterung der Beilegung von Streitigkeiten durch Aufklärung des