654 Paul Heilborn.
III. Das Verfahren richtet sich nach den Bestimmungen des Schiedsvertrags, in
zweiter Linie nach den Beschlüssen des Schiedsgerichts. Das Verfahren vor dem Haager Schieds-
gericht (Art. 51—85) besteht aus: a) dem Vowerfahren zur Auswechslung der Schriftsätze und
Mitteilung der Akten und Urkunden — und b) der mündlichen Verhandlung vor dem Gericht.
Die Beratung des Schiedsgerichts erfolgt geheim, jede Entscheidung nach der Mcehrheit der
Mitglieder. Der Schiedsspruch ist mit Gründen zu versehen und zu verkünden. Ein abgekürztes,
grundsätzlich nur schriftliches Verfahren sehen Art. 86—90 vor.
Die Kompetenz des Schiedsgerichts bestimmt sich nach dem Schiedsvertrag, es hat ihn
aber selbständig auszulegen. Der Entscheidung sind die von den Parteien abgeschlossenen Ver-
träge, das partikuläre und das gemeine Völkerrecht zugrunde zu legen.
In Ansehung der Parteien entscheidet der Schiedsspruch das Streitverhältnis endgültig
und mit Ausschließung der Berufung. Streitigkeiten über Auslegung oder Ausführung des
Schiedsspruchs entscheidet im Zweifel das Schiedsgericht (Art. 82). Eine Revision des Schieds-
spruchs muß im Schiedsvertrag vorbehalten sein sie ist an eine im Vertrag gleichfalls festzusetzende
Frist und an das Vorbringen neuer, bisher unbekannter Tatsachen gebunden; sie erfolgt durch
das nämliche Schiedsgericht. — Für dritte Staaten hat der Schiedsspruch keine Wirksamkeit.
Sie können sich jedoch an dem Verfahren beteiligen, wenn es einen von ihnen mitunterzeichneten
Vertrag zum Gegenstand hat. Alsdann ist der Spruch auch für sie bindend.
II. Das gewaltsame Verfahren.
A. Selbsthilfe ohne Krieg.
§ 56. 1. Die Repressalien.
I. Repressalie ist die Erwiderung einer Rechtswidrigkeit durch eine andere, um die Be-
seitigung des rechtswidrigen Zustands, eventuell auch die Leistung von Schadensersatz und Genug-
tuung zu erzwingen. Zu diesem Zweck ist die Vornahme einer sonst rechtswidrigen Handlung
gestattet; als Repressalie — d. h. wenn deren Voraussetzungen gegeben sind — ist sie nicht rechts-
widrig. Für den durch die Repressalie zugefügten Schaden ist deshalb weder Ersatz noch Genug-
tuung zu leisten. Die Ergreifung von Repressalien setzt voraus:
1. ein völkerrechtliches Delikt (§ 51), d. h. der zu Repressalien greifende Staat muß von
einem anderen schuldhaft und rechtswidrig verletzt sein. Ob die Staatsgewalt unmittelbar oder
mittelbar in ihren Angehörigen verletzt ist, hat keine Bedeutung;
2. Weigerung des schuldigen Staats zur Erfüllung seiner Deliktsverbindlichkeit. Diese
Weigerung kann nur angenommen werden, wenn er von dem Verletzten zur Leistung von
Schadensersatz bzw. zur Genugtuung vergeblich aufgefordert wurde.
Nach modemem Vöklkerrecht ist zur Ergreifung von Repressalien nur der Staat befähigt,
und zwar regelmäßig nur der souveräne; an Stelle des halbsouveränen handelt der übergeordnete
Staat. Die im Mittelalter unter bestimmten Voraussetzungen zulässigen Repressalien von
Privatpersonen wären gegenwärtig strafbar.
II. Repressalienhandlungen. Während zur Retorsion — Erwiderung einer
Unbilligkeit durch eine andere (§ 54) — jede nicht verbotene Handlung dienen kann, kommen
nur an sich verbotene Handlungen als Repressalien in Betracht. Allgemein ausgeschlossen sind
die Akte kriegerischer Waffengewalt: Beschießung von Plätzen usw. Sie dürfen nur im Kriege
vorgenommen werden. Umgekehrt sind die im Kriege als unnütz verbotenen Handlungen (Ge-
fangensetzung friedlicher Untertanen des Gegners) darum noch nicht als Repressalien unstatt-
haft. — Als positive Repressalie wird die Vormahme einer sonst verbotenen Handlung (Beschlag-
nahme von Schiffen), als negative die Unterlassung einer sonst gebotenen Handlung (Nicht-
zahlung einer Schuld) bezeichnet. Als wichtigste Repressalienhandlungen seien genannt:
1. die Beschlagnahme von Gütern und Forderungen des zu zwingenden Staats auf dem
Gebiete des verletzten. Staatsverträge schließen die Beschlagnahme von Eisenbahnwagen aus;