574 Paul Heilborn.
Hiermit ist bereits die Grenze angedeutet, bis zu welcher der neutrale Handelsverkehr frei ist:
er muß friedlich sein. Wer meinem Feinde hilft, ist mein Feind. Der neutrale Staat ist nicht
gehalten, seinen Angehörigen die Unterstützung einer kriegführenden Partei zu verbieten; er
ist hierfür auch nicht verantwortlich. Wie aber der Staat die Rechte der Privatpersonen am
Schiff nur schützen kann, sofern das Schiff zu friedlicher Seefahrt verwendet wird (§ 42 Ul), so
kann auch der neutrale Staat den Handelsverkehr seiner Untertanen nur schützen, soweit er
friedlich ist. Feindlichen Handel treiben sie auf ihre Gefahr hin. Die kriegführenden Parteien
können Maßnahmen dagegen treffen. Diese Abwehrmaßregeln dürfen sich aber nur richten
gegen die Mittel und Gegenstände des feindlichen Handels, d. h. gegen Schiff und Ware, nicht
gegen die Person des neutralen Handeltreibenden. Sofemn er nicht im Gewaltgebiet des be-
nachteiligten Kriegführenden wohnt, begeht er kein Verbrechen, sondern eine an sich erlaubte,
den Kriegführenden allerdings schädigende Handlung (Abk. I 18). Darum setzt anderseits die
Repression des schädigenden Handels ein Verschulden des Handeltreibenden nicht voraus.
Die Freiheit des neutralen Seehandels ist durch die Pariser Seerechtsdeklaration anerkannt
und geschützt (vgl. § 66 III). Grundsätzlich sind frei neutrale Schiffe, neutrale Güter auf feind-
lichen wie neutralen Schiffen und feindliche Güter auf neutralen Schiffen. Die Freiheit fällt
jedoch hinweg, wenn der neutrale Handel bestimmten, als feindlich anerkannten Zwecken dient
— Zufühmrung von Kriegskonterbande, neutralitätswidrige Unterstützung —, oder wenn er auf
bestimmtem, als feindlich anerkanntem Wege betrieben wird: Blockadebruch.
II. Daß auch neutrale Schiffe auf dem Kriegsschauplatz der Anhaltung und Durchsuchung
unterworfen sind, wurde bereits im § 66 III erwähnt. Diese Maßnahmen sind notwendig,
weil die Nationalität und, bei Verdacht der Kriegskonterbande, auch die Ladung des Schiffs
festgestellt werdem muß. Die Durchsuchung ist Postschiffen gegenüber durch das 11° Haager
Abkommen (1, 2) eingeschränkt; sie ist unzulässig, wenn neutrale Handelsschiffe unter Geleit
eines Kriegsschiffs ihrer Flagge fahren (Lond. Erkl. 61, 62). Hat ein neutrales Schiff gewalt-
samen Widerstand geleistet, oder ergibt die Durchsuchung, daß es Kriegskonterbande zuführt,
den Gegner neutralitätswidrig unterstützt oder eine Blockade bricht, so wird es mit Beschlag
belegt. Es ist in einen Hafen zu bringen. Das Prisengericht entscheidet über die Rechtmäßig-
keit der Beschlagnahme sowie über die Einziehung oder Freigabe von Schiff und Ladung.
Der gewaltsame Widerstand entzieht dem Schiff den Flaggenschutz; es wird wie ein feindliches
behandelt. Wird die Beschlagnahme des Schiffs oder der Waren vom Prisengericht nicht be-
stätigt, so haben die Beteiligten Anspruch auf Schadensersatz; es sei denn, daß ausreichende
Gründe für die Beschlagnahme vorgelegen haben (Lond. Erkl. 63, 64).
III. Ausnahmsweise darf ein beschlagnahmtes neutrales Schiff, welches der Einziehung
unterliegen würde, zerstört werden, wenn die Aufbringung das nehmende Kriegsschiff einer
Gefahr aussetzen oder den Erfolg der Operation, worin es derzeit begriffen ist, beeinträchtigen
könnte. Im prisengerichtlichen Verfahren hat die nehmende Kriegsmacht alsdann zunächst
den Nachweis zu führen, daß einer dieser Ausnahmefälle vorlag, in welchen die Zerstöring
zulässig ist, widrigenfalls sie die Schiffs- und Ladungsinteressenten ohne weiteres zu entschädigen
hat. Gelingt der Nachweis, so kommt es zu dem gewöhnlichen Verfahren über die Recht-
mäßigkeit der Wegnahme (Lond. Erkl. 48/54).
IV. Die bisher allein bestehenden nationalen Prisengerichte sind in erster Linie an das
ihnen gesetzte Landesrecht gebunden, können das Völkerrecht nur insoweit und in derjenigen
Auslegung anwenden, wie es das Landesrecht vorschreibt. Bei der Erregung in Kriegszeiten
können sie sich auch nicht immer von nationalen Vorurteilen freihalten, sind sie unwillkürlich
geneigt, die öffentlichen Interessen des eigenen Staats höher zu stellen als die Privatinteressen
der Ausländer. Diese Nachteile wollte das noch nicht ratifizierte 120 Haager Abkommen durch
Schaffung eines intermationalen Prisengerichtshofs beseitigen. Er sollte aus fünfzehn, von
den verschiedenen Signatarmächten emannten Richtem bestehen und als Berufungsinstanz
über den nationalen Prisengerichten fungieren. Das internationale Verfahren sollte immer
zulässig stin, wenn die nationale Entscheidung neutrales Staats-Hder Privateigentum beträfe,
ausnahmsweise auch wenn sie feindliches Eigentum beträfe. Die Anrufung des internationalen
Prisengerichtshofs sollte deshalb den feindlichen Untertanen nur in engen Grenzen freistehen.