Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Fünfter Band. (5)

60 F. Wachenfeld. 
die private Darbietung von Unzuchtsschriften usw. ist strafbar, wenn sie an Personen unter 
16 Jahren geschieht (§ 184 Nr. 2) und solchen Personen gegenüber sogar die Anbietung und 
Uberlassung von Schriften, welche, ohne unzüchtig zu sein, das Schamgefühl gröblich verletzen 
(+ 184 a). 
§ 35. Religionsverbrechen. 
Neben den gleichen sittlichen, verbinden die gleichen religiösen Anschauungen zu Gemein- 
schaften. Aber so wenig der Staat jede Sitte, kann er jede Religion gutheißen. Grund- 
sätzlich verleiht er seinen Schutz nur den von ihm anerkannten Religionsgesellschaften. Andere, 
die sich in seinem Gebiet bilden und von ihm geduldet werden, schützt er sediglich in ihrem 
höchsten Gut, d. i. in ihrem Gottesbegriff und in der äußeren Möglichkeit, den Gottesdienst 
auszuüben. 
I. Verbrechen gegen tatsächlich bestehende Religionsgesell- 
schaf'ten. Dahin gehört die Gotteslästerung (7 166 StEB.). Sie ist ein Delikt, 
das sich gegen jede im Staat geduldete Religionsgesellschaft richten kann. Sie ist selbstverständ- 
lich kein Verbrechen gegen Gott selbst, dessen Unverletzlichkeit schon aus seinem Wesen folgt, 
sondern gegen die Religionsgesellschaft in ihrer Vorstellung, die sich sie von Gott macht. Deren 
Gottesbegriff ist der Maßstab für das Vorliegen einer Gotteslästerung. So weit derselbe reicht, 
so weit ist das Delikt möglich, darum einer christlichen Kirche gegenüber auch durch Beschimpfung 
von Christus als Gottessohn. Die verbrecherische Tätigkeit äußert sich in Lästern durch Schmähen, 
d. i. Böses reden. Doch muß eine Roheit im Ausdruck hinzukommen, und auch dann hängt 
die Strafbarkeit noch von dem Erfolg ab, daß irgend jemand an der mitangehörten oder gelesenen. 
Außerung Argernis genommen hat. Um den privaten Meinungsaustausch in keiner Weise 
einzuschränken, begnugt sich schließlich das Gesetz damit, die öffentliche Begehung des Delikts, 
also nur diejenige Außerung zu ahnden, welche nicht ausschließlich für einzelne bestimmte 
Personen berechnet war. 
Sollen die im Staat geduldeten Religionsgesellschaften existieren können, so muß ihr 
Gottesdienst vor Störung, und der Ort, an dem sie sich hierzu versammeln, vor Herabwürdi- 
gungen gesichert sein. Darum erscheint einmal als Delikt die Hinderung und Störung, sei es 
des ganzen Gottesdienstes, und zwar des aktiven (Vornahme von Kultushandlungen) wie des 
passiven (Verrichtung der Andacht), oder einzelner gottesdienstlicher Verrichtungen, z. B. 
Taufe, Trauung (§ 167 StGB.). Sodann ist der beschimpfende Unfug in Kirchen oder anderen 
zu religiösen Versammlungen bestimmten Orten unter Strafe gestellt. Diese tritt ein ohne 
Rücksicht darauf, ob der Unfug öffentlich begangen und ob jemandem damit Argernis gegeben 
wurde (§ 166 StGG.). 
II. Verbrechen gegen Religionsgesellschaften mit Korpo 
rationsrechten. Während mit den bisher angegebenen Bestimmungen jede tatsächlich 
bestehende Religionsgesellschaft geschützt wird, genießen erhöhten Schutz die im Gebiet des 
Reichs mit Korporationsrechten ausgestatteten Religionsgesellschaften. Ihnen gegenüber 
wird die öffentliche Beschimpfung sowohl ihrer selbst als auch ihrer Einrichtungen (z. B. Papst- 
tum, Predigtamt) und Gebräuche (z. B. Reliquienverehrung) gestraft, also derjenigen Dinge, 
in welchen, abgesehen von dem Gottesbegriff, ihr Wesen besteht (S 166 StGB.). Die Be- 
schimpfung eines Dogmas ist nicht Beschimpfung einer Einrichtung oder eines Gebrauchs, wohl 
aber der Religionsgesellschaft selbst. Von den Einrichtungen und Gebräuchen sind einzelne 
verehrungswürdige Gegenstände (z. B. heilige Schriften) oder Personen (z. B. Luther), be- 
deutungsvolle Ereignisse (z. B. Vatikanisches Konzil) zu unterscheiden. Immerhin kann aber 
in deren Beschimpfung eine indirekte Beschimpfung der Religionsgesellschaft selbst liegen. 
III. Störung der Totenruhe und des Gräberfriedens (5s 168 StGB.). 
Der Tote gehört keiner besonderen Religionsgesellschaft mehr an. Ihn zieht jede Religions- 
gesellschaft in den Bereich ihrer eigenen religiösen Vorstellungen. Darum hat der Gesetzgeber 
die Störung der Totenruhe und des Gräberfriedens als ein solches Religionsdelikt behandelt, 
das nicht von den Anschauungen der Religionsgesellschaft, welcher der Verstorbene bei Leb- 
zeiten angehörte, abhängt. Nach drei Richtungen sind Strafen vorgesehen: für die unbefugte
	        
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