62 F. Wachenfeld.
I. Urkundenverbrechen. Das wesentlichste der hierher gehörigen Delikte ist
die Urkundenfälschung (s 267 StGB.). dber den Begriff der Urkunde haben sich mannig-
fache und widersprechende Meinungen gebildet, die dadurch noch vermehrt werden, daß derselbe
kein für das ganze Rechtsgebiet einheitlicher ist, und sich Urkunde im strafrechtlichen und Ur-
kunde im prozessualen Sinne nicht decken: als Beweismittel für den Prozeß sind Urkunden
nur Schriftstücke, als Obiekte einer strafbaren Handlung dagegen alle Gegenstände,
in welchen sich bestimmungsgemäß eine rechtserhebliche Erklärung über eine Tatsache verkörpert.
Die Erklärung kann zum Ausdruck gebracht sein durch irgendeine Schrift oder durch ein be-
liebiges Zeichen, welches einen Gedanken in einer für andere verständlichen Weise zu bekunden
vermag, so daß ein Kerbholz, ein Bild mit dem Malerzeichen sich als Urkunde im strafrechtlichen
Sinne darstellt. Der Zweck, welcher mit der Erklärung verfolgt wird, ist für den Begriff der
Urkunde nicht gleichgültig. Die Urkunde muß zum Beweis einer Tatsache errichtet sein. Hiernach
ist z. B. keine Urkunde ein Brief, der wohl Beweisfähigkeit, aber nicht Beweisbestimmung besitzt.
Die Beweisfähigkeit spielt nur bei einer besonderen Gruppe von Urkunden eine gewisse
Rolle. Man unterscheidet nämlich Privat= und öffentliche Urkunden. Letztere sind diejenigen
Urkunden, welche von zuständigen öffentlichen Behörden oder mit öffentlichem Glauben ver-
sehenen Personen (z. B. Notaren, Gerichtsvollziehern) vorschriftsmäßig aufgenommen sind.
Nur die öffentlichen Urkunden sind schlechthin, die Privaturkunden dagegen nur bei Beweiserheb-
lichkeit für Rechte oder Rechtsverhältnisse geeignete Objekte der Urkundenfälschung (vgl. § 267).
Nun kann allerdings unter Umständen jede Urkunde für den Bestand von Rechten oder Rechts-
verhältnissen beweiserheblich sein. Soll darum jenes Merkmal etwas Besonderes bedeuten,
so kann es nur das sein, daß die Urkunde in sich selbst, nicht erst durch Hinzutritt äußerer Zu-
fälligkeiten für eine rechtlich erhebliche Tatsache Beweisfähigkeit besitzt. Ob dieses dieselbe Tat-
sache ist, zu deren Beweis die Urkunde errichtet wurde, darauf kommt es nicht an.
Die Bezeichnung „Urkundenfälschung“ ist nur von einer und nicht einmal der wichtigsten.
der beiden verbrecherischen Tätigkeiten entnommen, aus denen sich das Delikt zusammensetzt.
Zunächst muß die Urkunde gefälscht oder verfälscht sein. Gefälscht ist sie, wenn ihr der Anschein
gegeben wird, als rühre sie von dem angegebenen Aussteller her. Das ist der Fall nicht nur
bei Nachahmung der Unterschrift, sondern auch bei Ausfüllung eines bereits unterzeichnet vor-
gefundenen Formulars (sog. Blankettfälschung § 269 StGB.). Verfälscht ist die Urkunde, wenn
ihr Inhalt geändert ist. Da nun aber durch bloßes Fälschen oder Verfälschen die Verkehrssicher-
heit noch nicht gestört wird, muß hinzukommen, daß von dem Falsifikat zum Zwecke der
Täuschung Gebrauch gemacht wird. Das geschieht, wenn die falsche Urkunde der zu täuschenden
Person unterbreitet und dieser die Möglichkeit der Kenntnisnahme gegeben wird.
Die Täuschung, zu deren Zweck von der Urkunde Gebrauch gemacht wird, muß sich selbst-
verständlich auf diejenige Tatsache beziehen, welche durch die in der Urkunde enthaltene Er-
klärung bewiesen werden soll. Daher ist es keine Urkundenfälschung, wenn eine mittelalterliche
Schenkungsurkunde künstlich hergestellt und als echt verkauft wird.
Gebrauchmachen von einer Abschrift ist nicht Gebrauchmachen von der Urkunde selbst.
Daraus folgt, daß man bei einer Depeschenfälschung nur dann Urkundenfälschung annehmen
kann, wenn man entweder in der Aufgabe der falschen Depesche ein Gebrauchmachen erblickt,
so daß der Telegraphenbeamte der Getäuschte ist, oder in der Ankunftsdepesche keine bloße
Mbschrift des Aufgabetelegramms, sondern die durch Vermittlung des Telegraphen hergestellte
falsche Urkunde.
Da in dem Gebrauch des Falsifikats der Kern der Urkundenfälschung liegt, behandelt
das Gesetz auch denjenigen als Urkundenfälscher, welcher die von anderen gefälschte oder ver-
fälschte Urkunde gebraucht (5 270 StG.).
Dagegen ist es für den Begriff der Urkundenfälschung gleichgültig, ob in der Urkunde
objektiv Unwahres bekundet wird.
Aus diesem Grunde ist ein von der Urkundenfälschung verschiedenes Delikt die sog.
in tellektuelle Urkundenfälschung (5 271 StE.). Deren Wesen besteht
gerade in der Beurkundung von objektiv Unwahrem. Wer falsche Eintragungen in öffentliche
Urkunden, Bücher (z. B. Handelsbücher) oder Register (z. B. Standesamtsregister, preußische
Strafregister) bewirkt, also in Schriften, auf die man sich im Verkehr muß unbedingt verlassen