Gefängnisrecht und Recht der Fürsorgeerziehung. 81
hältnisse zwischen Staat und Gefangenem diesem nichts auferlegt werden, was nicht kraft Ge-
setzes in der richterlichen Freiheitsstrafe bei deren tunlichst reiner Durchführung über ihn ver-
hängt ist“1.
Diese Auffassung der Beziehungen des Staates zum Gefangenen als Verhältnis rechtlich
festgestellter Rechte und Pflichten steht in scharfem Gegensatze zu der Anschauung ver-
gangener Jahrhunderte, in denen der Gefangene „mit seiner Person und seinem Vermögen
der Staatsgewalt . bedingungslos zur Verfügung stand“ 2. Wir sind über diese Anschauung
im ganzen hinaus; in ihren letzten Uberresten aber ist sie noch nicht überwunden. Es ist durchaus
noch nicht zum Gemeingute der öffentlichen Meinung geworden, daß der, dem Freiheits-
strafe auferlegt ist, im Vollzuge grundsätzlich wirklich nur am
Rechtsgute der Freiheit beschränkt werden darf. Ansätze zu dieser Er-
kenntnis werden uns in der Geschichte der Freiheitsstrafe noch begegnen.
Zur Klarstellung des Vorstehenden seien einige Folgerungen gezogen.
II. Sind die Beziehungen zwischen Staat und Gefangenem Rechtsbeziehungen, so darf
kein Teil, ohne rechtswidrig zu handeln, sich über das geltende Recht hinwegsetzen.
Daraus ergibt sich, daß einerseits der etwa doch übergreifende Gefangene zivil-, straf= und
disziplinarrechtlich in die Schranken zurückgewiesen werden kann. Anderseits aber muß auch der
Staat die Freiheitssphäre des anderen wahren. Er darf dem Gefangenen nur so viel auf-
erlegen, wie vom Richter in der Freiheitsstrafe kraft Gesetzes verhängt ist. Die Strafe an der
Freiheit darf nicht durch den Vollzug zur Strafe an Leib und Leben oder an der Ehre oder am
Vermögen gemacht werden. Die Vollzugsbehörde würde sonst rechtswidrig handeln, und
Haftung privat-, straf= und disziplinarrechtlicher Art könnte dann auch für sie die Folge sein.
Dies würde z. B. gelten, wenn etwa ein Staat einen Gefangenen seine Strafe zur Winterszeit
in ungeheizter Zelle oder ohne vorgängige Reinigung in der bisherigen Zelle eines Schwind-
süchtigen mit der Wirkung verbüßen ließe, daß die Gesundheit des Gefangenen litte.
III. a) Handelt es sich aber um die Frage, wie ein Gefängnisrecht aussehen sollte,
so wissen wir bereits, daß es vor allen Dingen in der vom Staatsrechte geforderten Weise jeden
Eingriff in die Rechte der Gefangenen begründen müßte. Im konstitutionellen Staate müßten
diese Eingriffe auf Rechts-, nicht bloß auf Verwaltungssätzen beruhen (s. oben S. 79).
b) Das Zukunftsrecht wird die Aufgabe haben, die Freiheitsstrafe im Vollzug als solche
derart auszugestalten, daß sie nur Strafe an der Freiheit wird. Es ist in weitem Maße möglich,
zu vermeiden, daß der Staat im Strafvollzuge der Ehre oder anderen Rechtsgütern desjenigen
zu nahe tritt, den er gar nicht an der Ehre usw. strafen will. Man hat zu lange schon die Frage
vernachlässigt, ob dem Gefangenen nicht im Vollzuge kraft Gesetzes Beschränkungen auferlegt
werden, die gar nicht Teile einer Freiheitsstrafe sind und zu ihr nicht passen. Die
Reinhaltung der Freiheitsstrafe als solcher wird das Gefängnisrecht der Zu-
kunft im Auge behalten müssen.
Hiermit kommen de lege ferenda die Forderungen der Gefängnishygiene zu ihrem Rechte,
und zwar nicht, weil sie einem Gebote der Menschlichkeit entsprechen, sondern weil sie die
Elemente einer Leibesstrafe fernhalten, die der Freiheitsstrafe fremd sind. Es erhebt sich dabei
semer die Forderung der Vermeidung des Zwanges zu Außenarbeit, sowie das Verlangen,
die ehwerletzende Unterscheidung der Kleidung von Zuchthaus- und Gefängnisinsassen, das
Kahlscheren, die Anrede mit Du usw. zu beseitigen; alles das bedeutet ja, entgegen dem Wesen
der Freiheitsstrafe, eine Bestrafung an der Ehre. Es ergibt sich weiter die Frage, warum man
durch schlechtere Bezahlung der Arbeit von Zuchthausgefangenen diesen, im Gegensatz zu Ge-
fämgnisinsassen, im Vollzuge noch eine Vermögensstrafe auferlegt, und endlich, warum ganz
allgemein, wiederum entgegen dem Wesen der Strafe an der Freiheit, der Gefangene für seine
Acbeit geringer entlohnt wird, als ihrem vollen Wert entspricht.
Gewiß können dem Gesichtspunkte reiner Durchbildung der Freiheits-
strafe Erwägungen anderer Art entgegenstehen, auf Grund deren der Gesetzgeber sich, wie
etwa in § 31 RSt G., entschließt, Elemente anderer Strafen in jene einzumengen. Aber
: Freudenthal, Staatsr. Stellung S. 27.
* Siehe Krohne, Lehrbuch S. 2.
Enzyklopädie der Nechtswiffenschaft. 7. der Neubearb. 2. Aufl. Band V. 6