Gefängnisrecht und Recht der Fürsorgeerziehung. 85
im Anfang der Neuzeit in größter Buntscheckigkeit als Einstellung in den Kriegsdienst, Verbringung
auf Grenzfestungen, Gassenkehren, Festungsbau usw. verhängt wurden 1. Hier ist die Be-
ziehung zur modernnen Gefängnisstrafe — um diese, nicht um irgendeine Freiheits-
strase aber handelt es sich doch — recht gering. Denn vielfach trat die „langwierige Einsperrung“,
auf die Kriegsmann zur Kennzeichnung der modernen „Einsperrungsstrase"“ (S. 124) mit Recht
entscheidendes Gewicht legt, dabei ganz zurück, während sie vordem, wie wir gesehen haben,
dem kirchlichen Strafvollzuge längst bekannt gewesen war. Jedenfalls bildete ganz allgemein
nicht sie, sondern der Zwang zu gewissen Leistungen und Arbeiten das eigentliche Strafmittel.
Der aber fand sich wieder schon bei der römischen damnatio in metallum 2. Der Besserungs-
zweck, der auch nach Kriegsmann die modeme Gefängnisstrafe kennzeichnet, kam überdies hier
über dem Gesichtspunkte des Staatsbedürfnisses gar nicht in Betracht; und endlich ist die öffent-
liche Zwangsarbeit nicht etwa in der Gefängnisstrafe aufgegangen, sondem sie hat sich, auch
nach Kriegsmann, noch lange Zeit selbständig neben dieser gehalten.
Entscheidend werden für die weitere Entwicklung die Zuchthäuser des 16. Jahrhunderts.
b) Die ersten Zuchthäuser 7.
Zur Schaffung der ersten Zuchthäuser in der Zeit von der Mitte des 16. Jahrhunderts
an hat ein Doppeltes Anlaß gegeben. Auf der einen Seite die mit der Renaissance einsetzende
Bewegung gegen die blutige Strenge des Strafsystems und -vollzuges, auf der anderen Seite
die Erfolglosigkeit des Kampfes gegen das wachsende Heer der Bettler und Müßiggänger. Das
Bedeutsame in der Bekämpfungsmethode dieser ersten Zuchthäuser war, daß zu den brutalen
Zwecken der Anstalten des Mittelalters, nämlich Unschädlichmachung und Abschreckung, wie
im kirchlichen Strafvollzuge der Besserungszweck hinzutritt. Auch der bis dahin der
öffentlichen Zwangsarbeitsstrafe unterliegende Grundgedanke, den Verbrecher und seine Arbeit
für die Allgemeinheit ökonomisch zu verwerten, tritt zurück hinter den Zweck der „zwangsweisen
Erziehung zu Ordnung und Arbeit“ (von Hippel) und damit der Umwandlung des sozialen
Schädlings in einen brauchbaren Menschen.
Die erste in diesem Sinne moderne Anstalt, die, statt der gegen Bettler in England ge-
setzlich angedrohten Strafen, nämlich statt „Peitschen bis aufs Blut, Ohrabschneiden, Ohrabsengen,
Hängen“, sie durch Arbeit zur Arbeit erziehen sollte, scheint, nach den dürftigen
Nachrichten, die vorliegen, Bridewell gewesen zu sein. Es war ein alter königlicher Palast,
den Eduard VI. 1553, unter dem Eindruck einer Predigt des Bischofs Ridley, der Stadt London
schenkte. Noch heute heißen die englischen Zuchthäuser nach ihr „bricewells“. Doch war sie
noch ausschließlich für Bettler und Müßiggänger, nicht eigentlich für schwere Verbrecher be-
stimmt; sie bildete ein Korrektionshaus, kein Zuchthaus in unserem Sinne, und ist auch für die
nachher in Holland und Deutschland errichteten „Zuchthäuser“ kaum vorbildlich gewesen.
Weitaus die erste Stelle unter diesen nahm das Zuchthaus von Amsterdam ein, 1595 für
Männer, 1596 für Weiber eröffnet. Hier ist der moderne Grundgedanke jeder Strafanstalt,
nämlich der Erziehung durch angestrengte Arbeit, tatsächlich und mit Erfolg zur Verwirklichung
gelangt. Daneben ist durch Anstellung von Lehrern, Geistlichen und Arzten, für Unterricht,
Seelsorge und Gesundheitspflege und damit für geistige und körperliche Ausbildung gesorgt.
Der Strafvollzug war mustergültig und ist das Vorbild aller späteren Zuchthäuser geworden.
War dies Männerzuchthaus von Anfang an, außer für Vagabunden und Bettler, auch für
„Ubeltäter, Spitzbuben und dgl."“, also für geringere Verbrecher, deren Kreis überdies sehr
bald erweitert wurde, bestimmt, so würde es, trotz des Bestandes an bösen Buben, die von ihren
Eltem vielfach in der Anstalt untergebracht wurden, zu weit gehen, wollte man es wegen „völliger
Abkehr vom Strafrecht“ (W. Leonhard 9 ganz aus der Reihe der Strafanstalten streichen.
Siehe zum Folgenden insbes. C. G. Wächter, Strafarten und Strafanstalten des
Kgr. Württ. 1832 und Hegler, Die prakt. Thät. der Juristenfakultäten 1899.
2 Sehr gut Mommsen, Röm. Strafr. 963.
!* Grundlegend hier v. Hippel, Z. 18, 419 ff. u. 608 ff.
* W. Leonhard (oben S. 77) S. 6.