Gefängnisrecht und Recht der Fürsorgeerziehung. 89
b) Im Staate Neuyork insbesondere entschloß man sich, unter dem Einflusse der
Neuyorker und Bostoner Gefängnisgesellschaft, eine Anstalt zu bauen, in der man die Ge-
fangenen nur bei Nacht trennte, bei Tage aber in Gemeinschaft arbeiten ließ, diese Gemein-
schaft aber dadurch unschädlich zu machen suchte, daß man ihnen ein absolutes und mit der
Peitsche durchgeführtes Schweigegebot auferlegte. So entstand 1820 das New Tork State
Prison in Auburn, das in Wahrheit nur eine Erneuerung des Haftsystems von S. Michele
und des Maison de force in Gent darstellte, nicht ein neues System, wie in der Regel be-
hauptet wird.
c) In dem Kampfe der beiden Systeme, des Pennsylvanischen der Einzel-
haft und des Neuyorker (loder Auburner= oder Schweige-) Systems der
Gemeirschaftshaft mit nächtlicher Trennung ,ist dieses in Amerika durch-
aus siegreich geblieben. Nicht zum wenigsten, weil es billiger war als das der Zellbauten.
Das System der Einzelhaft aber, im Heimatland Amerika unterlegen, ervoberte sich den alten
Erdteil Europa.
Freilich hat die Einzelhaft in England das Gesicht gewechselt. Dort ist sie nicht, wie
im Eastern Penitentiary, das System der Strafvollziehung schlechthin, sondern bei schwerer
Freiheitsstrafe nur das Anfangsstadium eines Progressivs ystems. Das in den Jahren
1840—42 errichtete Zellgefängnis in Pentonville wurde als Vollzugsanstalt nur für den
ersten, mit schwerer Arbeit verbundenen Teil der Strafe bestimmt. Ihm folgte als zweites
Stadium die Deportation in die australischen Kolonien und nach deren Aufhebung Gemein-
schaftsarbeit auf englischem Boden unter strenger, jeden Verkehr hindernder Aufsicht. Dies
zweite Stadium enthält wieder mehrere Unterklassen; Beförderung und Degradation in ihnen
wurde durch ein Strichsystem (mark system), das Maconochie im Deportations-
strafvollzuge von Westaustralien zuerst angewandt hatte, auf angeblich exakte Grundlage gestellt.
Wer zur ersten Klasse emporgestiegen war, hatte das Recht auf Erteilung eines ticket of leave,
d. i. vorläufige oder bedingte Entlassung mit dem Vorbehalte des Widerruses. Zahl und Dauer
der einzelnen Stadien dieses fortschreitenden Strafvollzuges haben wiederholt gewechselt. Seine
wesentliche Bedeutung aber liegt in der allmählichen Milderung der Freiheitsbeschränkung und
damit in der Annäherung an die Freiheit.
Doch ist dieser Gedanke in Deutschland schon lange vorher, nämlich im 18. Jahr-
hundert, durch den Gefängnisprediger Wagnitz in seinen „Historischen Nachrichten und Be-
merkungen über die merkwürdigsten Zuchthäuser in Deutschland“ (1791) ausgesprochen worden.
Die Uberführung in die Freiheit wurde in dem sogenannten irischen System
durch eine weitere Stufe, die vor der vorläufigen Entlassung eingeschoben wurde, noch mehr
vermittelt, nämlich durch den Aufenthalt in einer Zwischenanstalt (intermediate prison). Hier
findet für den Gefangenen freierer Verkehr mit der Außenwelt auf Botengängen, Einkäufen
usw. statt; er handelt bereits wieder unter eigener Verantwortlichkeit. Der Vater dieses
Systems war Sir Walter Crofton. Nach seinem Rücktritt ist es freilich seit 1864 auch in
Irland durch das englische System ersetzt worden. Einer der Zwecke der Zwischenanstalt, für
die Beschaffung einer geeigneten Stellung vor der Entlassung Gelegenheit und Zeit zu geben,
war durch die inzwischen begründeten Vereine zur Fürsorge für Entlassene übernommen.
worden.
Auch die Zwischenanstalt ist übrigens schon vorher in Deutschlandrnicht nur erwogen,
sondem auch 1851 als „Ubergangsstation“ in der mecklenburgischen Anstalt Dreibergen ver-
wirklicht worden.
e) Deutschland seit dem 19. Jahrhundert. 1
Weder das irische, noch das englische Progressivsystem ist im allgemeinen in Deutschland
übemommen worden. Wie es zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Preußen aussah, schildert
der Justizminister von Arnim 1803 in einem aufrichtigen und warmherzigen Buche „Bruch-
stücke über Verbrechen und Strafen“. überall bestand noch die verderbliche Gemeinschaft von
· ISiehezuallemolendenKtohneundUber,DieStrafanstaltenundGefängnisse
in Preußen 1901 S. VIII 4