Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Fünfter Band. (5)

90 Berthold Freudenthal. 
alten und jungen, schweren und leichten Verbrechem, Straf= und Untersuchungsgefangenen 
und die Verbindung von Strafanstalten mit Waisenhäusern, Hospitälern und Irrenanstalten. 
Im Gefängnisse zu Elbing, einem jener „Lochgefängnisse“, fand man bei der amtlichen Be- 
sichtigung vier Personen zusammengesperrt, darunter einen wegen Felddiebstahls in Unter- 
suchungshaft befindlichen Mann, femer einen jungen Gefangenen zwischen 14 und 16 Jahren, 
sowie ein Dienstmädchen von 20 Jahren, das wegen Gesindevergehens noch acht Tage abzu- 
büßen hatte. Kein Wunder, wenn sich ein Stadtmagistrat über die Alimentationslasten beklagte, 
die seiner Gemeinde aus den häufigen Schwängerungen im Gefängnis erwüchsen. 
Als in der Zeit der Stein-Hardenbergischen Verwaltungsreform die Ministerien geschaffen 
wurden, überwies man das Gefängniswesen dem Innem, behielt dem Justizminister aber 
gleichzeitig den erforderlichen Einfluß darauf vor. Dadurch entstanden Reibungen der beiden 
Ressorts. Infolgedessen wurden dann der Justiz die Inauisitoriate, die neben der Unter- 
suchungshaft freilich auch kürzere Strafen vollzogen, dem Innemn alle eigentlichen Straf- 
anstalten unterstellt. Mit der Regierungs-Instruktion vom 23. Okt. 1817 war der bis heute 
trotz aller Bemühungen fortbestehende Dualismus der preußischen Gefängnisverwaltung 
festgelegt. Er hat finanziell wie organisatorisch die Fortentwicklung schwer geschädigt. Auch 
im Königreich Sachsen besteht diese Zweiteilung. 
Die Anstalten der preußischen Justiz blieben zunächst in ihrem bisherigen Zustande, die 
des Innern wurden militärisch organisiert „wie Bataillone“. Entsprechend war für das Ra- 
witscher Zuchthaus-Reglement von 1835 „weitester Spielraum in der Behand- 
lung des Menschen, peinlichste Behandlung der Verwaltung nach dem vorgeschriebenen Schema 
kennzeichnend“ „das rechtliche Element in der Strafe findet in demselben an 
keiner Stelle seinen Ausdruck“ (Krohne 159). 
In diesem Zeitpunkte beginnt der Einfluß einer reichen deutschen Gefängnisliteratur. — 
Hier ist der Hamburger Arzt Julius, der Badenser Fueszlin und der hochverdiente 
Varrentrapyp aus Frankfurt am Main zu nennen. Sie forder — Julius unter dem 
Einfluß einer amerikanischen Studienreise — die Einführung des Pönitentiar= 
systems, d. i. der amerikanischen Einzelhaft. Sie wurde u. a. auch von den Theoretikerm 
Mittermoaier, der wie kein anderer die ausländische Bewegung beherrschte, von Röder, 
beide in Heidelberg, mit Entschiedenheit befürwortet. 
Wurde es in Preußen um die Mitte des 19. Jahrhunderts mit der Reform ernst, so ist 
dies das Verdienst Friedrich Wilhelms IV. In einer an den Minister des Innem 
gerichteten Kabinettsorder vom 26. März 1842 heißt es: „Nachdem .. Ich Selbst bei Meinem 
Aufenthalt in London von den dortigen Gefängniseinrichtungen nähere Kenntnis genommen 
habe, eröffne Ich Ihnen, daß es Meine Absicht ist, das durch die Einrichtung des Mustergefäng- 
nisses in England (d. i. Pentonville) modifizierte pensylvanische System bei den von jetzt ar 
zu errichtenden Strafanstalten zu grunde zu legen“. Daran knüpft sich der Befehl, „daß eine 
Strafanstalt hier in Berlin ganz übereinstimmend mit den Einrichtungen des Muster- 
gefängnisses in London .. eingerichtet werde“. 
Hiermit war die Einzelhaft grundsätzlich zum System der künftigen Anstaltsbauten erklärt. 
So entstand 1844—49 die Zellenstrafanstalt in Moabit bei Berlin. Doch ist die Einzelhaft 
in ihr nicht wie in England erstes Stadium des Strafvollzuges, sondern, wie in Amerika, der 
Strafvollzug selbst. Ob dies wirklich, wie u. a. von Liszt: annimmt, auf Verkennung des 
englischen Wesens der Einzelhaft beruht, erscheint mir doch zweifelhaft. Jedenfalls kurze Zeit 
darnach war sich Wichern, wie seine Schriften ergeben, der Abweichung und ihres Grundes 
voll bewußt 7. 
Die Absichten des Königs stießen, bis hinauf zu den Ministerien, auf allgemeinen Wider- 
stand. Um so bedeutsamer war es, daß er in dem Gründer des Rauhen Hauses in Hamburg, 
eben in Heinrich Wichern, einen Helfer fand. Ihn haben seine Zeitgenossen vielfach als 
Pietisten schwer angegriffen. Wir können ihm wegen seines durchdringenden Blickes und seiner 
organisatorischen Veranlagung unsere Bewunderung nicht versagen. Unter harten Kämpfen 
: v. Liszt, Lehrb. d. D. Strafr. 18. A. 1911, S. 362. 
: Wichern, Schriften Bd. 4, S. 102.
	        
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