Gefängnisrecht und Recht der Fürsorgeerziehung. 95
Die Anlage ist überall panoptisch — nach dem von Bentham im 18. Jahrhundert
erfundenen Plane. Die Zellen liegen an der Außenseite des Gebäudes, nicht wie in Amerika
(back-to-back system) an der Innenseite der Gänge. Jene Anordnung hat den Vorzug,
unmittelbaren Zufluß von Licht und Luft zu gewähren, diese den Vorzug größerer Wärme
und Sicherheit sowie der Ermöglichung des Baues eines — vom Standpunkte der Bewirt-
schaftung brauchbaren — Ganges zwischen den Zellreihen an deren Rückseite.
Ein neuer Bautyp wird zurzeit in Jolliet (Illinois) erprobt. Bei ihm ist die
eurppäüsche Außenlage der Zellen verbunden mit der Einführung von Glastüren vor den Zellen,
so daß, von einem zentralen, stählernen Kommandoturme, der dem eines Kriegsschiffes ähnelt,
nicht nur der Überblick, sondern auch der Einblick in die Zellen jederzeit möglich ist (s. Näheres
in Surve y 27, 1574).
II. Tüchtige Aufseher zu beschaffen, erfordert große und immer wachsende An-
strengungen: „Der Dienst ist schwer und wird knapp bezahlt“ (Klein).
Um geeignete Direktoren für die wichtigsten Zellgefängnisse zur Erziehung Jüngerer
und Erstmaliger zu gewinnen, hat das preußische Ministerium des Innern „gehobene“ Direktor-
stellen geschaffen; für sie ist Befähigung zum höheren Staats= oder Kirchendienste Voraus-
setzung. Sie sind mit Juristen, Arzten, Geistlichen besetzt. Die übrigen Direktoren sind, im
Gegensatze zu Bayern und Württemberg, wo sie durchweg Juristen sind, in Preußen über-
wiegend ehemalige Offiziere oder Unteroffiziere.
Die Ausbildung erfolgt wesentlich im praktischen Dienst. Eigentliche theore-
tische Fachbildung fehlt in Preußen wie anderswo. Nirgends vielleicht wird der
Strafvollzug mit mehr Recht für reformbedürftig erklärt als in diesem entscheidenden
Punkt. Es bedarf einer Fachschule für Gefängnisbeamte, wie sie Japan 1890
begründet hat. Ihre Kurse dauern ein Jahr, die Jahreskosten betrugen 1899/1900 rund
200 000 Mark 1. Es fehlt ferner an einer Laufbahn der Gefängnisbeamten, wie sie in
der Verwaltung sonst besteht: Das Verhältnis des Staates zu den Gefängnisbeamten bedarf
verwaltungsrechtlicher Durchbildung; in beiden Fragen, der der Lauf-
bahn wie der Vorbildung besteht bisher kein Zusammenhang von Gefängnis-
wesen und Verwaltungsrecht.
III. Durch Aufsichtskommissionen sucht man hie und da das Laienelement
in gewissem Umfange zur Aussicht über die einzelne Anstalt heranzuziehen.
d) Schulen, Seelsorge, Arbeit und Disziplin.
I. Nach den Bundesratsgrundsätzen von 1897 besteht Schulpflicht für Jugendliche,
die mehr als sieben Tage im Gefängnisse sind, unbedingt; für Gefangene bis zu 30 Jahren bei
mindestens dreimonatiger Strafzeit „tunlichst“. Begreift der Unterricht, über die allgemeine
Schulbildung hinaus, etwa auch Naturwissenschaften und Sprachen, so nimmt der gebildete
Gefangene an ihm gleichfalls teil. Die für die Wirksamkeit des Strafvollzuges höchst be-
deutungsvollen Gefängnisbibliotheken sind zum Teil nur spärlich dotiert.
II. Uberall ist für die Befriedigung des religiösen Bedürfnisses und die Einschaltung
der starken, in der Religion liegenden Erziehungsfaktoren Fürsorge getroffen. „Keinem
Gefangenen wird der Zuspruch eines Geistlichen seines Bekenntnisses versagt“ (Bdesr. Grds.
#*#28). Gewissenszwang findet nicht statt. In der Regel ist nur die Beteiligung am Gottes-
dienste vorgeschrieben, die Teilnahme an Beichte und Abendmahl freigestellt.
III. Gearbeitet wird entweder im Staatsbetriebe (Regiebetrieb), bei dem staat-
liches Rohmaterial vom Gefangenen bearbeitet und dann vom Staate selbst verwertet
wird; oder im Unternehmerbetriebe (Entreprise), bei dem der Staat die Arbeits-
kraft des Gefangenen an Untemehmer vermietet, — ein bedenkliches System, weil es Dritten
Einfluß auf den Vollzug gewährt? —; oder schließlich im Akkordbetriebe, bei dem der
Siehe Ogawa und Tomeoka in: Okuma, 50 Vears of New Japan, 1910 S. 304ff.,
bes. aber Crusen (unten S. 101 A. 1) S. 31.
*So auch von Liszt, Gefängnisarbeit 1900 S. 9.