$ 5. Preußen als Gliedstaat des Deutschen Reiches. 109
der Norddeutsche Bund, eigene Organe, deren Tätigkeit
durch nichts anderes in der Welt ersetzt werden kann.
„Bundesrat und Reichstag sind nicht Apparate, um den
Sonderwillen der Einzelstaaten zu sammeln und das
Resultat dieser zusammengezählten Einzelwillen her-
zustellen, sondern sie sind Organe für die Herstellung
eines selbständigen einheitlichen Willens, der in Kon-
trast treten kann selbst mit den übereinstimmenden
Willensentschlüssen sämtlicher Einzelstaaten“ (Laband).
Die Gründung des Norddeutschen Bundes und des
Deutschen Reiches hat der deutschen Staatsrechtswissen-
schaft Gelegenheit gegeben, endlich entschieden mit dem
lange festgehaltenen Dogma zu brechen, daß„Souveränetät“,
d. h. eine „höchste“, an sich unabhängige Gewalt ein not-
wendiger Bestandteil des Staatsbegriffes sei. „Souveräne-
tät“ bezeichnete zunächst im Frankreich des 16. Jahr-
hunderts die Eigenschaft des Königs als des Trägers
einer tatsächlich nach innen und nach außen unabhängig
gewordenen Gewalt. Da verband Bodinus in Generali-
sierung der französischen Zustände den Souveränitäts-
begriff mit dem Staatsbegriff überhaupt, und lehrte: kein
Staat ohne Souveranität, d. h. ohne daß die Staatsgewalt
zugleich die Eigenschaft einer „höchsten“, an sich un-
ab ängigen besitzt. Er definierte (1576 Six livres de la
Röpublique): l’etat est un droit gouvernement de plusieurs’
mesnages et de ce que leur est commun, avec puissance
souveraine (lat: recta plurium familiarum et rerum inter
ipsas communium cum summa perpetuaque potestate
bernatio. Nach dem Vorgang von Bodinus eroberte
sich auch alsbald in der deutschen Publizistik eine zahl-
reiche Anhängerschaft die Ansicht, daß Souveränität
(= majestas, summa potestas), streng genommen, für
den Staatsbegriff essentiell sei, und gerade von dieser
Basis aus gelangten viele in anscheinend unumgänglicher
Konsequenz zu dem nicht unwillkommenen Resultat, daß
das Deutsche Reich selbst, zumal seit dem Westfälischen
Frieden, nur die Rechtenatur eines vertragsmäßigen,
völkerrechtlichen Staatenbundes beanspruchen könne.
Auch auf den Sprachgebrauch des gewöhnlichen Lebens
färbte die Souveränitätstheorie ab, so daß man vielfach
Souveränität und Staatsgewalt schlechthin gleichsetzte,
ohne näher zu untersuchen, ob nicht im Einzelfall die
Gewalt eines sich staatlich gebärdenden Gemeinwesens
doch einer höheren Gewalt untergeordnet sei. Nach
Auflösung des alten Reichsverbandes a. 1806 verstummte