110 $ 5. Preußen als Gliedstaat des Deutschen Reiches.
aber der Widerspruch gegen das Dogma von der not-
wendigen Verknüpfung es Souveränitätsbegriffs mit dem
Staatsbegriff um so leichter, als die deutschen Staaten
nunmehr wirklich „souverän“ geworden waren, einer
anderen höheren Gewalt an sich in keiner Weise unter-
standen und seit 1815 sich selbst nur vertragsmäßig und
an sich ohne Einbuße ihres Souveränitätsrechtes zu dem
unter die Kategorie „Staatenbund“ fallenden „Deutschen
Bund“ vereinigt hatten. „Der Deutsche Bund — sagte
die Wiener Schlußakte vom 8. Juni 1820 — ist ein völker-
rechtlicher Verein der deutschen souveränen Fürsten
und freien Städte (Art. 1); dieser Verein besteht in seinem
Innern als eine Gemeinschaft selbständiger, unter sich
unabhängiger Staaten mit wechselseitigen gleichen Ver-
tragsrechten und Vertragsobliegenheiten (Art. 2)” In-
dessen der bereits 1848 unternommene Versuch, die
deutschen Staaten unter Aufrechterhaltung ihres Staats-
charakters zu einem „Bundesstaat“ ebenfalls mit Staats-
charakter zusammenzuschweißen, sodann das Bekannt-
werden mit den Institutionen der Vereinigten Staaten
von Nordamerika (Verfassung v. 17. September 1787) und
der schweizerischen Eidgenossenschaft (seit 1848), endlich
die Gründung des Norddeutschen Bundes und des Deutschen
Reiches veranlaßten die deutsche Wissenschaft zu einer
intensiveren Beschäftigung mit dem Souveränitätsproblem.
Man versuchte anfangs, den Begriff „Bundesstaat“, unter
welchen man die hier genannten Gesamtverbände zu
rubrizieren gedachte, durch den Gedanken einer Teilung
der Souveränität sich begreiflich zu machen: auf gewissen
Gebieten des staatlichen Lebens sei der Gesamtverband,
auf gewissen anderen Gebieten derGliederverband souverän,
und daher seien beide Verbände wirkliche Staaten (Weitz).
Demgegenüber hat aber Seydel siegreich betont, daß die
Souveränität als „höchste“ Gewalt begrifflich notwendig
die Eigenschaft der Unteilbarkeit wieauch Unbeschränkbar-
keit ın sich schließe, und daß bei den unvermeidbaren
Kollisionen innerhalb eines Gesamtverbandes unmöglich im
Schoße desselben gesonderte souveräne Gewalten für Ge-
samtheit und Glied existieren könnten. Vom Boden dieser
Erkenntnis hat die deutsche Staatsrechtswissenschaft der
Gegenwart — in ihrer weit überwiegenden Richtung — die
Begriffe Staatsgewalt und Souveränität an sich gesondert.
Sie hat das Wesen der Staatsgewalt durch das bloße Be-
stehen einer originären, eigenständigen, wenn auch unter
Umständen einem Höheren subordinierten, Herrscher-
macht (imperium) erfüllt gefunden und lehrt, daß eine
konkrete Staatsgewalt zwar souverän, d.h. die „höchste“
sein kann, aber nicht sein muß. Die hier in Rede
stehende Herrschermacht istihr aber die Rechtsmacht, freien