120 $ 6. Die drei Gewalten der preußischen Verfassung.
zollernmonarchie ergibt nun, daß, sofern die Äußerungen
der preußischen Staatsgewalt auf eine gesetzgebende,
richterliche, vollziehende Gewalt zurückzuführen waren,
jedenfalls der gesetzgebenden Gewalt nach damaliger
Anschauung ein materieller Bestandteil, ein Rechts-
norminhalt, notwendig inhärierte. Die unter die richter-
liche oder vollziehende Gewalt aber etwa zu rubri-
zierende Staatstätigkeit dachte man sich nicht weniger
durch ein materielles Moment charakterisiert. Folgende
Quellenstellen belegen dies namentlich:
a) Die Verordnung vom 26. Dezember 1808 spricht von
der „ungetheilten Verwaltung des richterlichen Amts“.
die die kompetenten Gerichte in Zukunft erhalten; b) Ver-
ordnung vom 27. Oktober 1810: „Unser Namen soll nur
Gesetzen, Verordnungen und Ausfertigungen vorgesetzt
werden, die Wir selbst vollziehen. olgsamkeit und
Achtung müssen sich die verwaltenden und ur-
theilenden Behörden usw. Der Justizminister hat zum
Geschäftskreise alles ohne Ausnahme, was die Ober-
aufsicht auf die eigentliche Rechtspflege betrifft.
Diese selbst ist, wie es sich versteht, den Gerichten
allein zu überlassen ;“ c) Kabinettsordre vom 6. September
1815: „Daß die Gerichtshöfe bei allen ihren Entscheidungen
durch Erkenntnisse keiner anderen Vorschrift als der-
jenigen der Gesetze unterworfen bleiben und insofern als
vollkommen selbständig zu erachten, dagegen aber ver-
pflichtet sind, in allen Gegenständen der Justizpflege,
welche nicht zu den Entscheidungen durch Urtheil und
Recht zu zählen, den Anordnungen des Chefs der Justiz
nachzukommen“
Freilich äußerte sich gerade gegenüber dem, was
nach dem gesetzlichen Tatbestand des A.L.R. unter den
eigentlichen Gesetzesbegriff fiel, ein gewisses Schwanken
auf dem Boden der preußischen Staatsrechtstheorie. In
seinem Contrat social (1762) hatte Rousseau, von der Auf-
fassung des Gesetzes als volont6 ‚generale ausgehend, als
begriffsnotwendige Konsequenz der „Allgemeinheit“ des
Gesetzes, neben der Betätigung aller Bürger bei der
Hervorbringung des Gesetzes, einen allgemeinen Gegen-
stand verlangt, über den das Gesetz disponiere. Vermöge
seiner Natur betrachte das Gesetz les sujets en corps et
les actions comme abstraites, jamais un homme comme
individu ni une action particuliere. Jeder Akt, welcher
sich auf ein objet individuel beziehe, gehöre in Wahrheit
nicht zur gesetzgebenden Macht, sondern sei nur un acte