122 $ 6. Die drei Gewalten der preußischen Verfassung.
Verfügungen zu treffen, also „innerhalb der vom Gesetz
freigelassenen Sphäre oder auch neben dem Gesetze“. Doch
konnte eine solche Theorie selbstverständlich nichts an
dem gesetzlichen Tatbestand ändern, daß das A.L.R.
— mit Verbindlichkeit schließlich für den ganzen preußi-
schen Einheitsstaat — den Privilegien- und Dispensations-
begriff — mit Einschluß der privilegia odiosa bzw. dis-
ensationes odiosae — nun einmal doch unter die potestas
egislatoria gezogen hatte. Innerhalb der deutschen, dem
Konstitutionalismus zuneigenden Publizistik blieb es auch
nicht ohne gewichtigen Widerspruch dagegen, daß die
richterliche Gewalt keine wahre Gewalt, wie die gesetz-
ebende oder die vollziehende, sein solle. Insbesondere
ührte Schmid (Deutsches Staatsrecht 1821) unter Zu-
stimmung von Jordan (Allgemeines Staatsrecht 1828) und
Linde aus: eine richterliche Gewalt könne nur als ein
Ausfluß der obersten Staatsgewalt stattfinden, und da
der Regent den Staat vorstelle, müsse er als die Quelle
aller Gerichtsbarkeit betrachtet werden; nicht minder
gründe sich selbst das bloße Rechtsprechen, ohne Bei-
mischung einer befehlenden Gewalt, aber mit dem Erfolge,
daß der Rechtsspruch für gültig gehalten werden müsse,
nur auf eine Verleihung der Staatsgewalt.e. Schmid und
Jordan setzen auch übereinstimmend gegenüber der ge-
setzgebenden und richterlichen Gewalt das Wesen der
„regierenden“ (vollziehenden) in das „Befehlen“: es sei
die Äußerungsform der Staaatsgewalt, die, ohne bloß
„Vollziehung“ zu sein, „durch Befehle, d. i. durch ver-
fassungs-, gesetz- oder rechtsspruchgemäße Normen, welche
unmittelbar auf das äußere Handeln gerichtet und mit
unwiderstehlicher Nötigung verbunden sind“, äußerlich
sich offenbare. Das Wesen der Gesetzgebung besteht
nach Jordan in der Festsetzung der „äußeren rechtlichen
Ordnung durch allgemein verbindliche Normen
für die Gesamtheit des Volks“, nach Schmid in der „Auf-
stellung einer rechtlichen Notwendigkeit für das äußere
Handeln der Bürger“, wobei Schmid ausdrücklich auch
die Erteilung der Privilegien im engeren Sinne ihrer
Natur nach zur Gesetzgebung rechnet. In Ansehung der
Entstehung der einzelnen Gesetze zählt Schmid wie auch
Jordan die Gesetzesinitative, die Promulgation (d. h. Be-
fehl, dem Gesetze Folge zu leisten) und die Publikation
zur Sphäre der „regierenden“ Gewalt; dagegen ist ihnen
der eigentliche Akt des Gesetzgebens die „Sanktion“, d.h.
die Anerkennung der fraglichen rechtlichen Notwendigkeit.
In der konstitutionellen Monarchie fordert Jordan die
Sanktion entschieden für den Herrscher, der alleiniger
Gesetzgeber bleibe, da die etwaige volkstümliche Be-
teiligung bei der Ausübung der Gesetzgebung