$ 6. Die drei Gewalten der preußischen Verfassung. 135
wohnheitsrecht!) muß gegenüber dem bestehenden
Rechtszustande jeder neue wahre Akt der gesetz-
gebenden Gewalt bringen. Die Einstellung der Aus-
gaben in das Etatsgesetz hat aber auch nicht die Be-
deutung, damit eine Normierung nach dem Gesichts-
punkt der Einheit, mithin eine wahre Rechtsnormierung
vorzunehmen. Bei der Verfassungsrevision wurde aus-
drücklich die „Berechtigung“ der Regierung an-
erkannt, „unter extraordinären Verhältnissen selb-
ständig die zur Befriedigung dringender Bedürfnisse
erforderlichen Geldmittel zu verwenden, ohne an die
vorgängige Zustimmung der Kammern gebunden zu
sein‘, Nur nachträglich bedürfen derartige Etats-
überschreitungen der bloßen Genehmigung der Kammern
Art. 104), die übrigens nicht zum Erlaß eines formellen
publizierungspflichtigen Gesetzes nach Art des „Etats-
gesetzes“ führt. Die im Etatsgesetz über die Aus-
gabenseite enthaltene Norm kann also, trotzdem „alle
Ausgaben“ daselbst aufgeführt werden sollen, nach ein-
seitigem Ermessen der Regierung durchbrochen werden,
und daher liegt in dieser Hinsicht nur eine Normierung
nach dem Gesichtspunkte der Summe vor. Das bloße
Etatsgesetz wird im Hinblick auf alle diese Momente
richtig nur der Sphäre der „vollziehenden Gewalt“ zu-
gewiesen: es ist eine, wenn auch öffentlich bekannt-
gemachte, Dienstanweisung, welche unter Modifikation
von S. 1, Art. 45 der König und die Kammern gemein-
sam an die verantwortlichen geschäftsführenden Minister
erlassen. Der juristische Gehalt des Art. 103: „Die
Aufnahme von Anleihen für die Staatskasse findet nur
auf Grund eines Gesetzes statt. Dasselbe gilt von der
Übernahme von Garantien zu Lasten des Staats,“ be-
steht aber an sich in der Aufstellung eines allgemeinen
gesetzlichen Verbotes an die Adresse der vollziehenden
ı) Vgl. IL. Kammer, S. 379.