Full text: Preußisches Staatsrecht.

$ 11. Die Volksvertretung. 213 
gegenwärtig ein aus Volkswahl hervorgehendes Kolleg. 
Die derzeitige Mitgliederzahl beträgt 443 (Ges. v. 28. Juni 
1906). Die Wahlbezirke sind durch die Gesetzgebung 
festgestellt. Der Wahlmodus regelt sich noch gegen- 
wärtig!) im wesentlichen nach der Verordnung vom 
%. Mai 1849. 
Darnach geht die II. Kammer aus allgemeinen Wahlen 
hervor. Das aktive Wahlrecht besitzt jeder selbständige, 
im Vollbesitz der bürgerlichen Rechte befindliche Preuße 
nach Vollendung des 24. Lebensjahres, sofern er keine 
Armenunterstützung aus öffentlichen Mitteln erhält und 
in der Gemeinde seit 6 Wochen seinen Wohnsitz oder 
Aufenthalt hat. Doch „ruht“ das aktive Wahlrecht für 
die zum aktiven Heer gehörigen Militärpersonen, mit 
Ausnahme der Militärbeamten. Das passive Wahlrecht 
zum Abgeordneten besitzt jeder 30 Jahre alte, im Voll- 
besitz der bürgerlichen Rechte befindliche Preuße, welcher 
bereits ein Jahr lang dem preußischen Staatsverband an- 
gehört. Die Wahl ist eine öffentliche, aber indirekte und 
zerfällt in die Wahl der Wahlmänner (Urwahl) und in 
die Wahl der Abgeordneten durch die Wahlmänner. Die 
Wahlmänner werden in Unterabteilungen der Wahl- 
bezirke (Urwahlbezirke) gewählt (auf je 250 Seelen 1 Wahl- 
mann). Zu diesem Behuf werden die Urwähler nach 
Maßgabe der von ihnen zu entrichtenden direkten Staats- 
und Kommunalsteuern derartig in drei Abteilungen ge- 
teilt, daß auf jede Abteilung ein Drittel der Gesamt- 
summe der Steuerbeträge aller Urwähler fällt (Drei- 
klassensystem). In die erste Abteilung gehören diejenigen 
Urwähler, auf welche die höchsten Steuerbeträge bis zum 
Belaufe eines Drittels der Gesamtsteuer fallen, ent- 
sprechend wird die zweite und die dritte Abteilung ge- 
bildet; die zu keiner Staatssteuer veranlagten Urwähler 
wählen auch in der dritten Abteilung. Jede Abteilun 
wählt ein Drittel der zu wählenden Wahlmänner (dure 
Stimmgebung zu Protokoll nach absoluter Mehrheit). 
Die gewählten Wahlmänner müssen sich über die An- 
nahme der Wahl erklären und wählen unter Leitung 
des von der Regierung gestellten Wahlkommissars die 
Abgeordneten durch Stimmgebung zu Protokoll mit 
absoluter Mehrheit; bei Stimmengleichheit entscheidet 
das vom Wahlkommissar zu ziehende Los. Der gewählte 
Abgeordnete muß sich über die Annahme oder Ableh- 
nung der Wahl gegen den Wahlkommissar erklären; eine 
Annahme unter Protest oder Vorbehalt gilt als Ablehnung.
	        
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