214 $ 11. Die Volksvertretung.
„Niemand kann Mitglied beider Kammern sein“
(Art. 78). Ein Mitglied der I. Kammer ist wählbar zur
II. Kammer, verliert aber im Augenblick der Wahl-
annahme seine Mitgliedschaft in der I. Kammer. Aus-
geschlossen sind von der Mitgliedschaft in beiden
Kammern durch Gesetz vom 27. März 1872 der Präsident
und die Mitglieder der Oberrechnungskammer. Der
einzelne Abgeordnete kann gültig nur die Wahl in
einem Wahlbezirk annehmen. Wenn ein Abgeordneter
nach der Wahl „ein besoldetes Staatsamt annimmt
oder im Staatsdienst in ein Amt eintritt, mit welchem
ein höherer Rang oder ein höheres Gehalt verbunden
ist“, so verliert er die Mitgliedschaft im Abgeordneten-
hause und kann sie nur durch eine Neuwahl wieder
erlangen (Art. 78). Einseitiger Verzicht beendigt auch
die Mitgliedschaft in der II. Kammer.
Die beiden Kammern tagen der Regel nach ge-
sondert. Nichtsdestoweniger bilden sie eine organische
Einheit; erst der übereinstimmende Wille beider
Kammern bildet grundsätzlich den Willen der preußi-
schen Volksvertretung. Aus der organischen Einheit-
lichkeit beider Kammern folgt auch, daß beide nur
„gleichzeitig berufen, eröffnet, vertagt und geschlossen“
werden können (Art. 77). „Keine der zwei Kammern,
sagen die Motive der Verfassungskommission der N.V.,
darf allein zusammen sein und verhandeln, weil nur
beide Kammern in ihrer Totalität die Volksüberzeugung
ausdrücken.“ Ausnahmsweise findet eine vereinigte
Tagung beider Kammern statt: 1. bei der feierlichen
Eröffnung und Schließung der Kammern durch den
König in Person oder durch einen dazu von ihm be-
auftragten Minister (Art. 77); 2. bei Ablegung des Ver-
fassungseides durch den König (Art. 54) oder durch
den „gesetzlichen“ oder „erwählten“ Regenten (Art. 58);
3. bei der Beschlußfassung über die Notwendigkeit der
Regentschaft (Art. 56); 4. bei der Wahl eines Regenten