236 $1. Entstehung des hohenzollernschen Gesamtstaates.
zimmer angesehenen Standes sich grausame Behandlungen
ihrer Unterthanen erlaubten.“ „Um durch Straffälle zu
ewinnen, wurden die Haussuchungen häufig. Fiskäle
atten dabei reiche Ernten; geldsüchtige Menschen
wurden, um von den Denunziationsgebühren ihren An-
teil zu erschleichen, zu Verrätern an ihrer Herrschaft,
Freunden und Verwandten. Hierdurch erschlafften die
heiligsten Bande; Mißtrauen und Argwohn schwächten
den offenen, redlichen Nationalcharakter, um so mehr da
Betrug und Verräterei, vom Gesetze gebilligt, nicht mehr
durch Äußerungen allgemeiner erachtung bestraft
werden konnte.“ v. Baczko rügt auch bereits den von
König Friedrich Wilhelm I. zum Besten der Rekruten-
kasse vielfach betriebenen Amterschacher, bei welchem
nicht selten der nachträglich Meistbietende unter Ver-
letzung bereits erkaufter Expektanzen den Vorzug er-
hielt. Außerst hart war die Handhabung des Kriminal-
rechts. „Öffentliche Vergnügungen gab es nicht; aber die
Menge zum Teil gräßlicher Hinrichtungen, das so häufige
Reiten auf hölzernen Eseln und das Stehen auf spitzigen
Pfählen vertraten die Stelle der Volksfeste,“ erdings
wirkte bei dem so häufigen Vollzug der Todesstrafe zu
einem guten Teil auch die damals herrschende und ins-
besondere vom König geteilte Vorstellung mit, daß nicht
durch gleiche Wiedervergeltung gesühntes Blutvergießen
die Blutschuld dem ganzen Lande mitteile.
Die angeborene, abgrundtiefe Gutmütigkeit des im
hohenzollernschen Gesamtstaat wohnenden Menschen-
schlags gehörte in Wahrheit dazu, um den Druck der
Regierungsweise König Friedrich Wilhelms I. ohne
dauernde Schädigung zu ertragen. Der hohenzollernsche
Gesamtstaat war in der Prägung, die ihm Friedrich
Wilhelm I. gab, eine seelenlose Maschine, die in regu-
lärer Friedenszeit zwar das durch den Alltag geforderte
Maß von Regierungsarbeit zu verrichten vermochte.
Aber es bedurfte einer Persönlichkeit, wie es Friedrich
der Große war, um in den Stunden äußerster Gefahr
aus der „preußischen Nation“ jene von der ganzen
Welt angestaunten Leistungen herauszuholen.
Die wahrhaft absolute Gewalt, welche Friedrich
Wilhelm I. dem Hohenzollernkönigtum gegenüber der
Untertanenschaft des hohenzollernschen Gesamtstaates
verschaffte, war nun aber zunächst lediglich ein tat-