Full text: Handbuch für Preußische Verwaltungsbeamte. Erster Band. (1)

Abschnitt XXIV. Vorfluths-Gesetz. 1179 
§. 8. Kein Besitzer von Mühlen oder anderen Stauungsanlagen darf den 
Wasserstand über die durch den Merkpfahl festgesetzte Höhe aufstauen. Sobald 
das Wasser über diese Höhe wächst, muß es durch Oeffnung der Schleusen, 
Gerinne und Grundstöcke, Abnehmung der beweglichen Aufsätze auf den Fach- 
bäumen, oder Ueberfällen, überhaupt Wegräumung aller bloß zeitlichen Hin- 
dernisse ), den Abfluß desselben unentgeltlich sogleich und unausgesetzt so lange 
befördern, bis das Wasser wieder auf die durch den Merkpfahl beiennte Höhe 
herabgefallen ist. 
§. 9. Versäumt er dies, so ist nicht allein die örtliche Polizeibehörde ver- 
pflichtet, auf Antrag der Interessenten, die vorerwähnte Oeffnung, Abnehmun 
und Wegräumung auf Gefahr und Kosten des Mühlenbesitzers ohne Anstan 
vornehmen zu lassen, sondern er hat auch in jenem Falle, außer dem Ersatze 
alles durch die widerrechtliche Stauung verursachten Schadens, 60 bis 150 Mark 
Polizeistrafe:) verwirkt. 
—. — 
  
1) Die Besitzer von Mühlen und anderen Stauanlagen sind auch verpflichtet, 
die Eisstopfung in Freigerinnen, als ein zeitliches Hinderniß des Wasserabflusses zu 
beseitigen, Res. 9. April 1873 (M. Bl. S. 136). 
:) Der §. 9 bedroht mit Strafe das widerrechtliche Aufstauen nicht nur im Falle 
der Berabsäumung der dem Mübhlenbesitzer im zweiten Theil des §. 8 auferlegten 
Pflicht, den Abfluß des über die durch den Merkpfahl festgesetzten Höhe gewachsenen 
Wassers sogleich und unausgesetzt, so lange zu befördern, bis das Wasser wieder auf 
jene Höhe herabgefallen ist, sondern auch im Falle der Verabsäumung der im §. 8 
dem Mühlenbesitzer auferlegten Verpflichtung, sich des widerrechtlichen Aufstauens des 
Wassers über die gesetzliche Höhe zu enthalten, Erk. 3. Mai 1886 (E. K. VI. 289). 
Die in §8§. 8 und 9 angedrohte Strafe trifft den Mühlenbesitzer auch dann, 
wenn er den geschäftlichen Betrieb der Mühle durch Dienstleute bewirken läßt, Erk. 
O. Trib. 19. April 1855 (J. M. Bl. S. 243). 
Die bloße Verabsäumung macht ihn strafbar. Vorsätzlichkeit oder vorsätzliche Ver- 
absäumung der ihm obliegenden Pflicht ist nicht Voraussetzung der Strafbarkeit, Erk. 
2. Jan. 1882 (E. K. III. 361). Dagegen schließt die subjektive Unmöglichkeit der 
Erfüllung die Bestrafung aus, E. K. XI. 8576. 
Das Aufstauen des Wassers über den Merkpfahl ist nur dann strafbar, wenn 
der Merlpfahl vorschriftsmäßig gesetzt worden. Dies trifft nicht zu, wenn unterlassen 
worden ist, den im Sommer und Winter zulässigen höchsten Wasserstand an dem 
Merkpfahl kennbar zu zeichnen und zu Protokoll zu verschreiben (§. 3 Vorfluthsges.). 
Zur Bestrafung wegen Aufstauens des Wassers über den Merkpfahl (§. 9 a. a. O.) 
ist der Beweis, daß der Angeklagte den höchsten zulässigen Wasserstand wissentlich, 
bezw. bewußter Weise überstaut habe und durch den Aufstau besondere Rechte der 
Interessenten verletzt oder geschädigt sind, nicht erforderlich, die einfache Thatsache des 
äufstauens genügt, wenn der Mühlenbesitzer nicht nachweist, daß ihm die Einhaltung 
des vorgeschriebenen Wasserstandes unmöglich gewesen sei, Erk. 25. März 1889 (E. 
K. IX. 257). Der Strafrichter ist befugt, die richtige Beobachtung der gesetzlichen 
Vorschriften bei Errichtung des Merkpfahls zu prüfen, E. K. X. 236. Diese Vor- 
schriften sind von der Behörde und dem Interessenten zu beachten, auch wenn ein 
sfolcher Merkpfahl, z. B. infolge eines Reparaturbaues an der Mühle oder Schleuse 
erneuert werden muß, sonst ist der Müller für das Ausstauen des Wassers über einen 
folchen Merkpfahl nicht strafbar, E. K. IX. 254. Zu prüfen ist also, ob der Antrag 
von den berechtigten Interessenten ausgegangen ist, ob die Setzung des Merkpfahls 
durch sachverständige, von der zuständigen Behörde ernannte Kommissarien stattgefunden 
hat, ob nicht etwa die Entscheidung von Streitigkeiten aus §. 5 Ges. verabsäumt, 
ob das Protokoll gemäß s§. 3 richtig ausgenommen ist, E. K. IX. 258, X. 236, 
XI. 278. Die Marken verlieren ihre Bedeutung und es bedarf einer Neuregulirung 
des Pfahls, sobald seine ursprüngliche Stellung infolge elementarer oder menschlicher 
Einwirkung nicht nachweisbar ist, E. K. X. 238. 
Die Ueberschreitung der festgesetzten Höhe eines unterhalb einer Mühle gesetzten 
Merkpfahls durch Ablassen des im Mühlenteiche angestauten Wassers Seitens des 
Mühlenbesitzers fällt nicht unter die Strafbestimmung der 8§. 8 und 9 Ges. 15. Nov. 
1311, E. K. II. 282. Die Strafe ist nicht abhängig von wirklich entstandenem 
Schaden, E. K. XI. 274. Vergl. R. Str. G. B. 5. 274, 2.
	        
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