362 Abschnitt V. Armenwesen. Reichsgesetz 8. 34.
nommen werden, und ist bei der Uebernahme der Fall der Hülfsbedürftigkeit
vorhanden, oder tritt derselbe innerhalb sieben Tagen nach erfolgter Ueber-
nahme ein, so liegt die Verpflichtung zur Erstattung der Kosten der Unter-
stützung") beziehungsweise zur Uebernahme des Hülfsbedürftigen demjenigen
Bundesstaate ob, innerhalb dessen der Hülfsbedürftige seinen letzten:) Unter-
stützungswohnsitz gehabt hat, mit der Maßgabe, daß es jedem Bundesstaate
überlassen bleibt, im Wege der Landesgesetzgebung diese Verpflichtung auf seine
Armenverbände zu übertragen.
Verfahren in Streitsachen der Armenverbände.
Einleitung.
§. 34. Muß ein Orts-Armenverband einen hülfsbedürftigen Norddeutschen,
welcher innerhalb desselben seinen Unterstützungswohnsitz nicht hat, unterstützen,
so hat der Orts-Armenverband zunächst eine vollständige Vernehmung des
Unterstützten über seine Heimaths-, Familien= und Aufenthaltsverhältnisse zu
bewirken, und sodann den Anspruch auf Erstattung der aufgewendeten be-
ziehungsweise aufzuwendenden Kosten bei Vermeidung des Verlustes dieses An-
spruches binnen sechs Monaten?) nach begonnener Unterstützung bei dem ver-
Zu Anmerkung 1 auf S. 361.
Rechte und Pflichten zur Geltung zu bringen, beziehungsweise zu vollziehen hat, Erk.
27. Mai 1876 (W. VII. 113).
Wegen Uebernahme von Preußischen Landarmen aus dem Auslande vergl. §. 37
des Ausf. Ges. 8. März 1871 unten S. 386.
1) Nicht etwa der Transportkosten von der Grenze bis an den Ort, dem die
übernehmende Landespolizeibehörde den Hülfsbedürftigen zur vorläufigen Unterstützung
überweist, W. IX. 54; X. 26.
2) Wegen der Frage, welcher Land-Armenverband als der des letzten Unterstützungs-
wohnsitzes anzusehen sei, vergl. W. XlII. 108; XIV. 104; XXVII. 152. Unter-
stützungspflichtig ist derienige Land-Armenverband, in dessen Bezirk der Uebernommene
seinen letzten Unterstützungswohnsitz gehabt hat, auch wenn er diesen Unterstützungs-.
wohnsitz bei seiner Entfernung in das Ausland schon wieder verloren hatte, W. XV.
34; XXIV. 172.
Hat der zu Uebernehmende einen Unterstützungswohnsitz nie gehabt, so ist der-
jenige Land-Armenverband zur Uebernahme verpflichtet, in dessen Bezirk die Hülfs-
bedürftigkeit hervorgetreten ist, W. XVII. 132. Waren dagegen die mit dem
Familienhaupt zu übernehmenden Kinder schon als Landarme im Ausland geboren,
während das Familienhaupt selbst seiner Zeit einen Unterstützungswohnsitz besessen hat,
so hat der Landarmenverband des letzten Unterstützungswohnsitzes des Familienhaupts
auch die Kinder mit zu übernehmen, W. XVIII. 106.
§. 33 ist hinsichtlich eines übernommenen Familienangehörigen auch dann an-
wendbar, wenn zur Zeit des Eintritts der Hülfsbedürftigkeit das landarme Familien-
haupt unmittelbar oder mittelbar im Bezirke eines Land-Armenverbandes bereits
unterstützt wurde. Die Grundsätze über den Einfluß der armenrechtlichen
Familieneinheit auf die Bestimmung des endgültig fürsorgepflichtigen Land-Armenver-
bandes finden keine Anwendung, XXVII. 154.
3) Die sechsmonatliche Anmeldungsfrist läuft von dem Tage, an welchem die
Unterstützung (Hülfeleistung) thatsächlich erfolgt ist, nicht erst von dem Tage an, an
welchem der betreffende Armenverband die für ihn handelnden Personen (Hebamme ꝛc.)
bezahlt hat. Die Erstattung einer Hebammengebühr kann auch dann gefordert werden,
wenn zwar nicht vor der stattgehabten Entbindung die Gewährung sachverständiger
Beihülfe bei der Armenbehörde beantragt ist, von letzterer aber die Hebammen im
Allgemeinen ermächtigt sind, unbemittelten Wöchnerinnen auf Kosten der Armen—
verwaltung Beistand zu leisten, Erk. 28. Nov. 1885 (W. XVIII. 109). Je nach
den Umständen genügt auch die Anzeige von der Nothwendigkeit der öffentlichen Für-
sorge und von der unmittelbar bevorstehenden Unterstützungsgewährung, wenn sie
alsbald wirklich erfolgt, W. IV. 97; V. 120; XXI. 157, nicht aber, wenn sie etwa
erst nach Monaten erfolgt, wenn nicht aus der Bewilligung schon Ansprüche der