376 Abschnitt V. Armenwesen. Reichsgesetz §§. 63—65.
gründeten Titeln verpflichtet ist, von dem Verpflichteten in demselben Maße
und unter denselben Voraussetzungen zu fordern, als dem Unterstützten auf
jene Leistungen ein Recht zusteht 0.
Der Einwand, daß der unterstützende Armenverband den Ersatz von einem
anderen Armenverbande zu fordern berechtigt sei, darf demselben hierbei nicht
entgegengestellt werden.
§. 63. Die Verwaltungs= und Polizeibehörden sind verpflichtet, innerhalb
ihres Geschäftskreises den Armenverbänden behufs der Ermittelung der Hei-
maths-, Familien= und Aufenthaltsverhältnisse eines Hülfsbedürftigen auf Ver-
langen behülflich zu sein.
§. 64. Das Eintreten der in den §§. 10 und 22 an dem Ablauf einer
bestimmten Frist geknüpften Wirkungen kann durch Vertrag oder Verzicht der
betheiligten Behörden oder Personen nicht ausgeschlossen werden?.
Zeitpunkt der Geltung des Gesetzes. Uebergangsbestimmungen.
§. 65. Dieses Gesetz tritt mit dem 1. Juli 1871 in Kraft. Nach diesem
Tage finden die bis dahin innerhalb des Bundesgebietes gültigen Vorschriften
über die durch das gegenwärtige Gesetz geregelten Rechtsverhältnisse nur inso-
weits) noch Anwendung, als es sich um die Feststellung des Unterstützungs-
wohnsitzes für die Zeit vor dem 1. Juli 1871 handelte.
Insbesondere kommen hierbei folgende Bestimmungen zur Anwendung:
1. Diejenigen Norddeutschen, welche am 30. Juni 1871 innerhalb des
Bundesgebietes ein Heimathsrecht besitzen, haben kraft desselben am 1. Juli
Zu Anmerkung 1 auf S. 375.
15. Juni 1883 ist, 38 57 Abs. 4, 58 Abs. 2, 65 Abs. 5, 72 Abs. 4 das. Im
Uebrigen ist der Rechtsweg in der Regel ausgeschlossen, es sei denn, daß über Noth-
wendigkeit und Umfang der Unterstützung zuerst im Verwaltungswege entschieden ist
(E. Civ. III. 270). Doch ist dies Erforderniß kein absolutes, namentlich kann davon
abgesehen werden, wenn der Staat selbst unterstützt hat und den Erstattungsanspruch
erhebt, Erk. R. G. 20. Juni 1884. · .
Ein zur Verfolgung im Verwaltungsstreitverfahren berechtigender Uebergang des
dem Unterstützten gegen eine Krankenkasse nach dem Ges. 15. Juni 1883, betr. die
Krankenversicherung der Arbeiter zustehenden Unterstützungsanspruchs auf den Armen-
verband, welcher auf Grund der gesetzlichen Verpflichtung zur Unterstützung Hülfs-
bedürftiger eintrat, findet nicht statt, wenn jene Kasse eine eingeschriebene Hülfskasse
ist, Erk. 6. Okt. 1887 (E. O. V. XV. 403).
Die Armenverbände sind berechtigt, aus eigenem Rechte Ansprüche geltend zu
machen, welche den von ihnen unterstützten Armen aus dem Haftpflichtgesetze
7. Juni 1871 zustehen, Erk. 30. Juni 1880 (E. Civ. II. 45)
) Auch von dem Unterstützten selbst, wenn er wieder zu Vermögen gelangt,
sowie aus seinem Nachlasse kann Ersatz gefordert werden, Dernburg, Lehrbuch des
preußischen Privatrechts Bd. 2 §. 161 Note 26.
Nach gemeinem Recht ist aber ein Ersatzanspruch des Armenverbandes gegen den
Unterstützten nicht begründet, E. Civ. XIV. 198.
2) Vergl. W. XXII. 31, 183.
2) Bereits perfekt gewordene Rechtsverhältnisse haben durch das Reichsgesetz nicht
rückgängig gemacht werden sollen. So wenig bei Erlaß eines neuen Gesetzes, welches
die Zeitdauer der Großjährigkeit hinausschiebt, diejenigen, welche nach der bisherigen
Gesetzgebung bereits großjährig geworden sind, wieder unter Vormundschaft fallen
würden, so wenig können auch die, welche bereits im Besitz eines selbständigen Hei-
mathsrechtes und von der Familieneinheit losgelöst sind, durch die neue Gesetzgebung
dieser Selbständigkeit wieder verlustig werden, Erk. 23. Okt. 1875 (W. VI. 107).
Vergl. W. V. 135—148. »» «
Kinder folgen nicht den Eltern, wenn schon bei Einführung des Reichsgesetzes
6. Juni 1870 die eventuelle Fürsorgepflicht für dieselben, nach Lage des Falles, ver-
schiedenen Armenverbänden (Orts= oder Landormenverbänden) oblag, Erk. 3. Dez. 1887,
14. Jan. 1888 und 15. Okt. 1887 (W. AX. 202—208).