Abschnitt IX. Strafgesetzbuch. Beleidigung. 617
§. 189. Wer das Andenken eines Verstorbenen dadurch beschimpft, daß
er wider besseres Wissen eine unwahre Thatsache behauptet oder verbreitet,
welche denselben bei seinen Lebzeiten verächtlich zu machen oder in der öffentlichen
Meinung herabzuwürdigen geeignet gewesen wäre, wird mit Gefängniß bis zu
sechs Monaten bestraft.
Sind mildernde Umstände vorhanden, so kann auf Geldstrafe bis zu neun-
hundert Mark erkannt werden.
Die Verfolgung tritt nur auf Antrag der Eltern, der Kinder oder des
Ehegatten des Verstorbenen ein.
§. 190. Ist die behauptete oder verbreitete Thatsache eine strafbare
Handlung, so ist der Beweis der Wahrheit als erbracht anzusehen, wenn der
Beleidigte wegen dieser Handlung rechtskräftig verurtheilt worden ist. Der
Beweis der Wahrheit ist dagegen ausgeschlossen, wenn der Betheiligte wegen
dieser Handlung vor der Behauptung oder Verbreitung rechtskräftig freige-
sprochen worden ist.
§. 191. Ist wegen der strafbaren Handlung zum Zwecke der Herbei-
führung eines Strafverfahrens!) bei der Behörde Anzeige gemacht, so ist bis
zu dem Beschlusse, daß die Eröffnung der Untersuchung nicht stattfinde, oder
bis zur Beendigung der eingeleiteten Untersuchung mit dem Verfahren und der
Entscheidung über die Beleidigung inne zu halten?.
§. 192. Der Beweis der Wahrheit der behaupteten oder verbreiteten That-
sache schließt die Bestrafung nach Vorschrift des §. 185 nicht aus, wenn das
Vorhandensein einer Beleidigung aus der Form der Behauptung oder Ver-
breitung oder aus den Umständen, unter welchen sie geschah, hervorgeht.
§. 193. Tadelnde Urtheile über wissenschaftliche, künstlerische oder ge-
werbliche Leistungen, ingleichen Aeußerungen, welche zur Ausführung oder
Vertheidigung von Rechten oder zur Wahrnehmung?) berechtigter Interessen
gemacht werden, sowie Vorhaltungen und Rügen der Vorgesetzten gegen ihre
Untergebenen, dienstliche!) Anzeigen oder Urtheile von Seiten eines Beamten
und ähnliche Fälles) sind nur insofern strafbar, als das Vorhandensein einer
Beleidigung aus der Form der Aeußerung oder aus den Umständen, unter
welchen sie geschah, hervorgeht.
1) Disziplinarverfahren ist kein Strafverfahren, E. Crim. X. 381.
2) Und zwar von Amtswegen, E. Crim. XII. 53.
3) Die Straflosigkeit tritt nicht schon dann ein, wenn die Aeußerungen bei
Gelegenheit der Wahrnehmung berechtigter Interessen gefallen sind. Entscheidend
ist allein, ob gerade durch die Aeußerungen berechtigte Interessen haben wahrgenommen
werden sollen, Erk. R. G. 15. Juni 1881 (E. Crim. IV. 316). Begriff berechtigter
Interessen, E. Crim. V. 121; XXIII. 144, 285, 422; XXIV. 224.
4) Wenn wegen solcher dienstlichen Anzeigen ein strafgerichtliches Verfahren ein-
geleitet wird, so ist die Erhebung des Konfliktes zulässig, sofern nicht etwa der
Beamte wider besseres Wissen unwahre Thatsachen behauptet hat (S. 187), oder aus
den begleitenden Umständen das Vorhandensein einer Beleidigung hervorgeht, Erk.
O. V. G. 26. März 1881 (M. Bl. S. 161).
5) Nach §. 193 Str. G. B. bleibt straflos, wer der Behörde Thatsachen mit-
theilt, aus denen sich eine strafbare Handlung eines Anderen ergiebt, auch wenn sie
nicht erweislich wahr ist, sobald er in gutem Glauben gehandelt; die Anzeige ist
straflos, auch wenn der beleidigende Verdacht den Angezeigten zu Unrecht trifft. Da-
gegen besteht weder ein subjektives Recht noch ein objektiv berechtigtes Interesse, nicht
erweislich wahre Thatsachen in Beziehung auf einen Anderen öffentlich zu behaupten
und zu verbreiten, um sie zu besprechen. Das Recht der freien Meinungsäuße-
rung besteht nur unter der Voraussetzung der Beachtung der allgemeinen Strafgesetze.
Und darin steht die Presse nicht anders als jeder Einzelne; sie handelt wie der Ein-
zelne bei ihren Meinungsäußerungen auf ihre eigene Gefahr, Erk. 5. Nov. 1886
(E. Crim. XV. 15). mUm„„ «
Wahrnehmung berechtigter Interessen kann auch in einer öffentlichen Vollsver-
sammlung stattfinden, E. Crim. V. 379.