672 Abschnitt IX. Strafgesetzbuch. Vorläufige Entlassung.
Anweisung vom 22. Oktober 1885 über die Festsetzung der korrektionellen Nach-
haft und über das bei der Entlassung der Korrigenden zu beobachtende Verfahren.
(M. Bl. S. 237.)
1. Gegen Deutsche, welche auf Grund gerichtlichen Erkenntnisses der Landes-
polizeibehörde überwiesen worden sind, ist, sofern die Voraussetzungen des §. 362
Abs. 2 des Strafgesetzbuches vorliegen, in der Regel eine korrektionelle Nachhaft fest-
zusetzen. Eine Ausnahme hiervon findet statt, wenn besondere individnelle Ber-
hältnisse, insbesondere durch ärztliche Untersuchung festgestellte Unfähigkeit zur Ver-
richtung selbst leichter Haus-, Garten= und Feldarbeit in Folge körperlicher oder
geistiger Gebrechen oder vorgeschrittenen Alters, die Aufnahme in ein Arbeitshaus
unthunlich erscheinen lassen. Frauenspersonen, bei denen der Zustand der Schwangerschaft
konstatirt ist, find während der Dauer der letzteren der Arbeitsanstalt nicht zuzuführen.
Ob nach erfolgter Entbindung eine korrektionelle Nachhaft nachträglich festzusetzen ist,
bleibt von den besonderen Umständen des einzelnen Falles abhängig. Der Landes-
polizeibehörde überwiesene Personen, welche bei der Entlassung aus der gerichtlichen
Haft sich in krankem Zustande befinden oder in dem polizeilichen Gewahrsam vor
Einlieferung in das Arbeitshaus erkrankten, sind erst nach erfolgter Heilung demselben
zuzuführen. Betreffs der Behandlung der der Landespolizeibehörde Überwieseuen Aus-
länder bleiben die bestehenden Bestimmungen in Geltung. 6
2. Nach Eingang #) der gerichtlichen Untersuchungsakten setzt die Landespolizei-
behörde die Dauer der korrektionellen Nachhaft fest. Dabei ist derartig zu verfahren,
daß die Dauer der Detention im Falle erstmaliger Ueberweisung auf sechs Monate
und bei jeder späteren Ueberweisung jedesmal entsprechend höher bis zu der gesetzlich
zulässigen Maximalzeit von zwei Jahren zu bemessen ist. .
Das Vorleben der betreffenden Person, die Schwere der ihr zur Last fallenden
Uebertretung und insbesondere auch der Zeitraum seit Berbüßung der letzten korrek-
tionellen Nachhaft ist hierbei angemessen zu berücksichtigen. * .
3. In denjenigen Fällen, in welchen das Verhalten des Detinirten die Erwartung
gerechtfertigt erscheinen läßt, daß der Zweck der korrektionellen Nachhaft durch eine
kürzere, als die festgesetzte Detentionszeit erreicht werden wird, hat die Direktion des
Arbeitshauses wegen Abkürzung derselben der Landespolizeibehörde unter Vorlegung
eines von den oberen Anstaltsbeamten einschließlich des betreffenden Anstaltsgeiftlichen
in gemeinschaftlicher Berathung abzugebenden motivirten Gmachtens die erforderlichen
Vorschläge zu machen. Bei der Entscheidung über dieselben ist die Landespolizeibehörde
ermächtigt, die festgesetzte Detentionszeit bis zur Hälfte, jedoch keinesfalls unter drei
Monate, zu ermäßigen. Dabei ist nach Möglichkeit darauf Bedacht zu nehmen, daß
die Entlassung zu einem Zeitpunkte erfolgt, zu welchem anzunehmen ist, daß der zu
Entlassende ohne Schwierigkeit Arbeit erlangen kann. Diejenigen Fälle, in denen
eine frühere Entlassung durch den Gesundheitszustand des Detinirten oder aus anderen
Gründen bedingt wird, werden durch vorstehende Bestimmungen nicht berührt.
4. Zu dem von der Landespolizeibehörde festgesetzten Termine gelangt der
Detinirte zur Entlassung, sofern nicht in Folge schlechter Führung von der Anstalts-
direktion nachträglich eine Verlängerung der Detention nachgesucht und von der Landes-
polizeibehörde genehmigt sein sollte. Rechtzeitig vor der Entlassung ist der Derinirte
zu befragen, an welchem Orte er seinen Aufenthalt zu nehmen beabsichtigt. Auf
Grund der abgegebenen Erklärung hat die Anstaltsdirektion der Ortspolizeibehörde des
gewählten Aufenthaltsortes von dem Eintreffen des Detinirten mit dem Ersuchen
Mittheilung zu machen, dem letzteren bei seinem weiteren Fortkommen behülflich zu
sein und ihm namentlich, soweit als angängig, eine seinen Kräften entsprechende Arbeit
zuzuweisen, zu diesem Behufe auch die Mitwirkung des Ortsgeistlichen, sowie etwa
bestehender Vereine zur Fürsorge für entlassene Strafgefangene und ähnlicher Vereine
in Anspruch zu nehmen. Die von dem Detinirten ersparten Ueberverdienstgelder
(Arbeitsprämien) sind abzüglich des erforderlichen Reise-= und Zehrgeldes der Orts-
polizeibehörde zur Auszahlung in angemessenen Raten zu übersenden.
1) Die Landräthe und Polizeibehörden, durch deren Vermittelung die Einreichung
der gerichtlichen Akten erfolgt, haben sich hierbei über die Dauer der zu verfügenden
Detention gutachtlich zu äußern, Res. 22. Okt. 1885 (M. d. J. II. 8995).