676 Abschnitt IX. Strafgesetzbuch. Vorläufige Entlassung.
Die Auferlegung derartiger besonderer Beschränkungen erfolgt mittels protokolla-
rischer Eröffnung an den Gefangenen.
§. 13. Kraft der gegenwärtigen Verfügung unterliegt der Entlassene der be-
sonderen Beschränkung, daß er ohne ortspolizeiliche Erlaubniß den Entlassungs- oder
späteren Aufenthalts-Ort auf länger als 48 Stunden nicht verlassen und an einem
anderen Orte nicht ohne Erlaubniß der Ortspolizeibehörde dieses letzteren auf länger
als 48 Stunden Aufenthalt nehmen darf. Die eine wie die andere Erlaubniß 1) ist
unter persönlicher Gestellung vor die Ortspolizeibehörde und Vorzeigung des Ent-
lassungsausweises (§. 10 Nr. 2) nachzusuchen.
Die Erlaubniß ist zu versagen, wenn Grund zu der Annahme vorliegt, daß der
Entlassene dieselbe zur Verübung neuer Rechtsverletzungen mißbrauchen oder dadurch
einem ungeordneten Leben werde zugeführt werden.
Von dem Abgange eines Entlassenen an einen neuen Aufenthaltsort ist der
Polizeibehörde daselbst durch die Polizeibehörde des bisherigen Aufenthaltsortes Nach-
richt zu geben. Die erstgedachte Behörde hat der letzteren von dem Eintreffen des
Entlassenen Mittheilung zu machen.
s. 14. Vorläufig entlassene Strafgefangene, welche sich ohne ortspolizeiliche Er-
laubniß von dem Entlassungs= oder späteren Aufenthalts-Orte auf länger als 48
Stunden entfernen, oder von der erhaltenen Erlaubniß, sich an einem anderen Ort
begeben zu dürfen, nicht in der vorgeschricbenen Weise Gebrauch machen, sind durch
die Ortspolizeibehörde steckbrieflich zu verfolgen. Auch ist in diesem Falle, wegen
des etwaigen Widerrufes der Entlassung sogleich nach §. 15 dieser Verfügung zu
verfahren.
§. 15. Zeigt ein vorläufig entlassener Strafgefangener sich arbeitsscheu, oder
trunkfällig, oder giebt derselbe in anderer Weise durch ungeordnetes Verhalten Anstoß
so ist, fal- eine sogleich zu erlassende erste Verwarnung erfolglos bleibt, seitens der
Ortspolizeibehörde gemäß dem §s. 24 des Str. G. B. der Widerruf der Eunt-
lassung bei den im §. 5 bezw. §. 8 dieser Verfügung bezeichneten Justizbehörden
in Antrag?2) zu bringen, welche letztere hierüber an den Justiz-Minister zu be-
richten haben.
Dasselbe findet statt, wenn der Entlasseue mit übelberüchtigten Personen Umgang
pflegt, oder bei denselben Wohnung nimmt, oder wenn er einen bestimmten Lebens-
erwerb nicht nachzuweisen vermag.
Erachtet in den vorstehend bezeichneten Fällen die Ortspolizeibehörde aus drin-
genden Gründen des öffentlichen Wohles die einstweilige Festnahme des Entlassenen
gemäß dem §. 25 Abs. 2 des Str. G. B. für erforderlich, so hat sie dieselbe unter
gleichzeitiger Anzeige an die vorstehend bezeichnete Justizbehörde zu veranlassen und
bis zur endgültigen Entscheidung über den Widerruf aufrecht zu erhalten.
§. 16. Gefangene, deren Entlassung widerrufen worden ist, werden vermittelst
Transports in die Gefängniß--Anstalt, aus welcher ihre vorläufige Enrlassung erfolgt
ist, zurückgesandt.
In die Entlassung aus einer entfernten Anstalt erfolgt, so kann mit Genehmigung
der der nächstgelegenen Anstalt derselben Gattung vorgesetzten Provinzialbehörde die
Wiedereinlieferung des Gefangenen in diese letztere stattfinden.
Bei Berechnung der noch zu verbüßenden Strafzeit find der zweite Absatz des
§. 24 und der dritte Absatz des §. 25 des Str. G. B. zu beachten. Die Trans-
porttage sind in allen Fällen auf die Strafzeit in Anrechnung zu bringen.
§. 17. Die durch die steckbriefliche Verfolgung, sowie durch die einstweilige
Festnahme eines Entlassenen, bezw. im Falle des Widerrufs der Entlassung durch den
Rücktransport desselben in die Gefängniß-Anstalt, entstehenden Kosten sind als Kosten
der Strafvollstreckung zu behandeln und demgemäß — event. unter Vorbehalt der
1) Die Genehmigung zum Umzuge muß jedesmal schriftlich ertheilt werden,
Res. 28. Okt. 1871 (M. Bl. S. 8311).
:) Die Beamten der Staatsanwaltschaft haben von jeder strafrechtlichen Ver-
folgung, welche gegen einen vorläufig entlassenen Strafgefangenen vor Ablauf der
Strafzeit wegen einer nach der vorläufigen Entlassung begangenen strafbaren Hand-
lung eingeleitet wird, dem zuständigen Appellations= (Oberlandes-) Gericht, unter
Darlegung der Sachlage unverzüglich Anzeige zu machen, Res. 23. Dez. 1871 (J. M.
Bl. S. 294).