Full text: Handbuch für Preußische Verwaltungsbeamte. Erster Band. (1)

Abschnitt X. Strafprozeß. Entziehung der Wehrpflicht. 743 
Wehrpflichtige, welche nach öffentlicher Bekanntmachung einer vom Kaiser 
für die Zeit eines Krieges oder einer Kriegsgefahr erlassenen besonderen An- 
ordnung im Widerspruch mit derselben ausgewandert sind (S. 140 Abs. 1 
Nr. 3 des Strafgesetzbuchs) 
findet in Abwesenheit des Angeklagten eine Hauptverhandlung nach Maßgabe der 
folgenden Bestimmungen statt. 
#§. 471. Für das Verfabren ist dasjenige Gericht zuständig, in dessen Bezirk 
der Angeklagte seinen letzten Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt !) im Deutschen 
Reiche gehabt hat. 
Das Verfahren kann gleichzeitig gegen mehrere Personen gerichtet werden und 
die Verhandlung und Eutscheidung ungetrennt erfolgen. 
§. 472. Die Erhebung der Anklage und die Eröffnung der Untersuchung er- 
folgt auf Grund einer Erklärung) der mit der Kontrolle der Wehrpflichtigen beauf- 
tragten Behörde. 
Diese Erklärung ist in den Fällen des §. 140 Abs. 1 Nr. 1 des Strafgesetzbuchs 
dahin auszustellen: . 
daß der Wehrpflichtige sich zu den angeordneten Revisionen nicht gestellt, 
daß der Aufenthalt desselben im Deutschen Reiche nicht ermittelt worden, und 
daß der angestellten Erkundigungen ungeachtet sich keine Umstände ergeben 
haben, welche die Annahme ausschließen, daß der Wehrpflichtige, um sich dem 
Eintritt in den Dienst des stehenden Heeres oder der Flotte zu entziehen, ohne 
Erlaubniß entweder das Bundesgebiet verlassen habe oder nach erreichtem 
militärpflichtigen Alter im Auslande verblieben sei. 
In den Fällen des §. 140 Abs. 1 Nr. 2 des Strafgesetzbuchs, sowie bei Unter- 
suchungen gegen beurlaubte Reservisten und Wehrmänner ) wegen Auswanderns ohne 
Erlaubniß (§. 300 Nr. 3 des Strafgesetzbuchs) ist die Erklärung dahin zu fassen: 
daß der Aufenthalt des Offiziers, des Arztes, des Reservisten oder Wehr- 
manns im Deutschen Reiche nicht ermittelt, 
daß ihm eine Erlaubniß zur Auswanderung nicht ertheilt worden, und 
daß der angestellten Erkundigungen ungeachtet sich keine Umstände ergeben 
haben, welche die Annahme ausschließen, daß er ausgewandert sei. 
Bei Untersuchungen gegen Ersatzreservisten erster Klasse wegen Auswanderns 
ohne Anzeige bei der Militärbehörde (§. 360 Nr. 3 des Strafgesetzbuchs) ist die Er- 
klärung dahin zu fassen: 
daß *“ Aufenthalt des Ersatzreservisten im Deutschen Reiche nicht ermittelt 
worden sei, 
daß er von einer bevorstehenden Auswanderung der Militärbehörde eine 
Anzeige nicht gemacht habe, und 
Zu Anmerkung 2 auf S. 742. 
wanderung der Militärbehörde Anzeige zu machen hat, und die Unterlassung dieser 
Anzeige mit der in §. 360 Str. G. B. angedrohten Strafe belegt ist (8§. 4, 21 das.). 
Da jedoch die 88. 470 ff. sämmtliche in den §§. 140, 360 Nr. 3 Str. G. B. auf- 
geführten Strafthaten umfassen wollen, so finden sie auch jetzt noch auf die ent- 
sprechenden Vergehen bezw. Uebertretungen der Ersatzreservisten und Wehrmänner 
zweiten Aufgebots sinngemäße Anwendung. Vergl. §. 472 Anm. 1. 
1) Falls kein anderer bekannt, gilt dafür der Geburtsort. 
2) Die oben gedachte Erklärung ist in den Fällen des §. 140 Abs. 1 Nr. 1 und 3 
Str. G. B. von dem Civilvorsitzenden der Ersatz-Kommission, in den Fällen des 
§. 140 Abs. 1 Nr. 2 und §. 360 Nr. 3 Str. G. B. von den Landwehrbezirks- 
Kommandos auszustellen, Res. 21. März 1880 (M. Bl. S. 104). Bei Einziehung 
der von den Militärgerichten im Ungehorsamsverfahren gegen abwesende Fahnen- 
flüchtige erkannten Geldstrafen und Beschlagnahme der im Inlande verbliebenen Ver- 
mögenstheile haben die Amtsgerichte Rechtshülfe zu leisten, Res. 5. Febr. 1892 (J. 
M. Bl. S. 65). 
Die Frage, ob ein gewisser, in der Verhandlung zur Sprache gekommener oder 
aus den Akten sich ergebender Umstand der im §. 472 bezeichneten Erklärung ent- 
gegenstehe, unterliegt der freien Würdigung des Gerichts nach Maßgabe des §. 260, 
Erk. 18. Okt. 1880 (E. Crim. II. 351). 
2) Vergl. Anm. zu §. 470.
	        
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