Abschnitt X. Strafprozeß. Strafvollstreckung. 745
Für die zur Zuständigkeit der Schöffengerichte gehörigen Sachen kann!)
durch Anordnung der Landesjustizverwaltung die Strafvollstreckung den Amtsrichtern
übertragen werden.
§s. 484. In Sachen, in denen das Reichsgericht in erster Instanz erkannt hat,
steht das Begnadigungsrecht ?) dem Kaiser zus).
. 485. Todesurtheile bedürfen zu ihrer Vollstreckung keiner Bestätigung. Die
Vollstreckung ist jedoch erst zulässig, wenn die Entschließung des Staatsoberhauptes
und in Sachen, in denen das Reichsgericht in erster Instanz erkannt hat, die Ent-
schließung des Kaisers ergangen ist, von dem Begnadigungsrechte keinen Gebrauch
machen zu wollen.
An schwangeren oder geisteskranken Personen darf ein Todesurtheil nicht vollstreckt
werden.
#§. 486. Die Vollstreckung der Todesstrafe erfolgt in einem umschlossenen Raume.
Bei der Vollstreckung müssen zwei Mitglieder des Gerichts erster Instanz, ein
Beamter der Staatsanwaltschaft, ein Gerichtsschreiber und ein Gefängnißbeamter zu-
gegen sein. Der Gemeindevorstand des Orts, wo die Hinrichtung stattfindet, ist auf-
zufordern, zwölf Personen aus den Vertretern oder aus anderen achtbaren Mitgliedern
der Gemeinde abzuordnen, um der Hinrichtung beizuwohnen.
Außerdem ist einem Geistlichen von dem Religionsbekenntnisse des Verurtheilten
und dem Vertheidiger und nach dem Ermessen des die Vollstreckung leitenden Beamten
auch anderen Personen der Zutritt zu gestatten.
Ueber den Hergang ist ein Protokoll aufzunehmen, welches von dem Beamten
der Staatsanwaltschaft und dem Gerichtsschreiber zu unterzeichnen ist.
Der Leichnam des Hingerichteten ist den Angehörigen desselben auf ihr Verlangen
zur einfachen, ohne Feierlichkeiten vorzunehmenden Beerdigung zu verabfolgen.
1) Res. 14. Aug. 1879 (J M. Bl. S. 237):
I. Für diejenigen Sachen, in welchen das Amtsgericht (Schöffengericht, Rhein-
schiffahrtsgericht, Elbzollgericht) in erster Instanz erkannt hat, wird in Gemäßheit des
s. 483 Abs. 3 Str. P. O. die Strafoollstreckung dem Amtsrichter übertragen. Im
Uebrigen erfolgt die Strafvollstreckung durch die Staatsanwaltschaft des Landgerichts.
Die nach §. 483 Abs. 1 Str. P. O. erforderliche Abschrift der Urtheilsformel ertheilt
der Gerichtsschreiber desjenigen Gerichts, welches in erster Instanz erkannt hat.
Die Strafvollstreckung aus Urtheilen, welche von den aufgehobenen Gerichten
erlassen sind, erfolgt, sofern nach §. 40 Ges. 31. März 1879, betr. die Ueber-
gangsbestimmungen zur Deutschen Civilprozeßordnung und zur Deutschen Straf-
prozeßordnung, das Amtsgericht für das gerichtliche Verfahren bei der Strafvoll=
streckung zuständig ist, durch den Amtsrichter, andernfalls durch die Staatsanwaltschaft
des Landgerichts.
II. Ueber Strafausschub in den Fällen des §. 487 Str. P. O. hat diejenige
Behörde zu befinden, welcher nach den Bestimmungen unter I die Strafvollstreckung
obliegt.
Ueber Strafaufschub in den Fällen des §. 488 Str. P. O. hat stets die Staats-
anwaltschaft des Landgerichts zu befinden. Dieselbe hat, sofern sie über den Zeitraum
von vier Wochen hinaus Strafaufschub bewilligen will, die Genehmigung des Ober-
staatsanwalts einzuholen.
Die Bewilligung von Strafaufschub in anderen als den in den 88. 487, 488
Str. P. O. vorgesehenen Fällen, sowie die Bewilligung von Straftheilung und
Strafunterbrechung erfolgt nach Maßgabe der bestehenden Vorschriften der Art, daß
in erster Instanz die Staatsanwaltschaft des Landgerichts, in zweiter Instanz der
Oberstaatsanwalt befindet.
:) Wegen Behandlung der Begnadigungssachen die (abgesehen von den Fällen
des §. 84) durch die Staatsanwaltschaft des Landgerichts bearbeitet werden, welche
direkt an den Justizminister berichtet, vergl. Res. 17. Nov. 1835 (J. M. Bl. 1854
S. 296), 16. März 1878 (J. M. Bl. S. 55) und 14. Aug. 1879 (J. M.
Bl. S. 238).
:) Außerdem in Elsaß-Lothringen, Ges. 9. Juni 1871 (R. G. Bl. S. 212) §. 3,
und in den Konsulargerichts-- und Schutzgebieten, Ges. 10. Juli 1879 (R. G. Bl.
S. 197) §. 4, 17. April 1886 (R. G. Bl. 1888 S. 75) §. 2.