Full text: Handbuch für Preußische Verwaltungsbeamte. Erster Band. (1)

766 Abschnitt XI. Altpreußische Gesinde-Ordnung. 
§. 68. Wegen der Entschädigung, zu welcher der Dienstbote verpflichtet ist, 
kann die Herrschaft an den Lohn desselben sich halten. 
§. 69. Kann der Schaden weder aus rückständigem Lohne, noch aus 
anderen Habseligkeiten des Dienstboten!) ersetzt werden, so muß er denselben 
durch unentgeltliche Dienstleistung auf eine verhältnißmäßige Zeit vergüten. 
Außer seinen Diensten. 
§. 70. Auch außer seinen Diensten ist das Gesinde schuldig, der Herr- 
schaft Bestes zu befördern, Schaden oder Nachtheil aber, so viel an ihm ist, 
abzuwenden. » 
§. 71. Bemerkte Untreue des Nebengesindes ist es der Herrschaft anzu- 
zeigen verbunden. » 
§. 72. Verschweigt es dieselbe, so muß es für allen Schaden, welcher 
durch die Anzeige hätte verhütet werden können, bei dem Unvermögen des 
Hauptschuldners selbst haften. 
§S. 73. Allen häuslichen Einrichtungen und Anordnungen der Herrschaft 
muß das Gesinde sich unterwerfen. « 
§.74.0hneVorwissenundGenehmtungderHerrschaftdarfessich 
auch in eigenen Angelegenheiten nicht vom Hause entfernen. « 
§. 75. Die dazu von der Herrschaft gegebene Erlaubniß darf nicht über- 
schritten werden. Z„ #„ 
76. Die Befehle der Herrschaft und ihre Verweise muß das Gesinde 
mit Ehrerbietung und Bescheidenheit annehmen. 
§. 772). Reizt das Gesinde die Herrschaft?) durch ungebührliches Be- 
tragen!) zum Zorn, und wird in selbigem von ihr mit Scheltworten oder 
geringen Thätlichkeiten behandelt, so kann es dafür keine gerichtliche Genug- 
thuung fordern). 
§. 78. Auch solche Ausdrücke oder Handlungen"), die zwischen andern 
1) Bei Streitigkeiten über die Ausübung des Zurückhaltungsrechts durch die 
Herrschaft dürfen die Polizeibehörden diese an der Ausübung nicht hindern, Erk. 
26. März 1881 (E. O. V. VII. 375). Ein Zurückbehaltungsrecht an den Sachen 
eines Dienstboten, der widerrechtlich den Dienst verlassen hat, um ihn zu dessen Fort- 
setzung zu zwingen, hat die Herrschaft nicht, E. Crim. XXIII. 356. 
2) §. 77 ist durch §. 2 Einf. Ges. zum R. Str. G. B. und §. 223 des letzteren 
weder aufgehoben noch modifizirt. E. Crim. II. 7. 
2) Der Begriff „Herrschaft“ ist auf diese selbst zu beschränken und weder auf 
andere Familienglieder (O. R. XV. 625), noch auf die sonstigen Vorsteher der 
Wirthschaft auszudehnen, Erk. O. Trib. 3. Juni 1853 (Str. Arch. X. 72). Findet aber 
zwischen der Herrschaft und dem Hofgesinde keine Kommunikation statt, so muß der 
Wirthschaftsinspektor oder die Inspektorin, dem Gesinde gegenüber als dessen Herrschaft 
betrachtet werden, folglich bei Injurienklagen des Gesindes gegen diese Personen der 
§. 77 zur Anwendung kommen, Erk. O. Trib. 8. Juli 1859 (Str. Arch. XXXUV. 34) 
und 18. Okt. 1872 (E. LXVII. 64). Der §. 77 giebt der Herrschaft kein wirkliches 
Züchtigungsrecht gegen das Gesinde, sondern läßt nur den Umstand, daß die Herr- 
schaft durch das Betragen des Gesindes gereizt worden ist, als Entschuldigungsgrund 
gelten, dessen Berücksichtigung dem Ermessen des Richters nach den Umständen des 
Falles überlassen bleibt, Erk. O. Trib. 13. Dez. 1867 (Koch, Anm. 41 zu §. 77), 
Res. 12. Juli 1845 (M. Bl. S. 221); E. Crim. II. 7. 
) Begriff: Nicht allein Verletzung der Ehrerbietung und Bescheidenheit, sondern 
erhebliche Vernachlässigung der Dienstpflichten, Str. Arch. X. 769. 
5) Der §. 77 schließt nicht nur die Privatklage des Gesindes aus, sondern 
gegen die Herrschaft auch die Strafbarkeit bei Strafverfolgung des Staatsanwalts, 
E. Crim. II. 7. 
6) Die Herrschaft, welche Verdacht gegen ihr Gesinde hegt, kann bei der Polizei- 
behörde auf Durchsuchung der Behältnisse desselben antragen und selbst, wenn Gefahr 
im Verzuge ist, oder andere Gründe es nöthig machen, die Nachsuchung der in ihrer 
Wohnung befindlichen Koffer 2c. der Dienstboten auf eigene Hand vornehmen, Res. 
2. Dez. 1842 (A. VIII. 1140).
	        
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