Abschnitt XI. Altpreußische Gesinde-Ordnung. 767
Personen als Zeichen der Geringschätzung anerkannt sind, begründen gegen
die Herrschaft noch nicht die Vermuthung, daß sie die Ehre des Gesindes da-
durch habe kränken wollen.
§. 79. [/Außer dem Falle, wo das Leben oder die Gesundheit des Dienst-
boten durch Mißhandlungen der Herrschaft in gegenwärtige und unvermeidliche
Gefahr geräth, darf er sich der Herrschaft nicht thätlich widersetzen).
#§. 80. Vergehungen des Gesindes gegen die Herrschaft müssen durch
Gefängniß oder öffentliche Strafarbeit, nach den Grundsätzen des Kriminal-
Rechts geahndet werden?).
a 81. Auf die Zeit, durch welche das Gesinde wegen Erleidung solcher
Strafen seine Dienste nicht verrichten kann, ist die Herrschaft befugt, biefelben
durch Andere auf dessen Kosten besorgen zu lassen.
Pflichten der Herrschaft.
§. 82. Die Herrschaft ist schuldig, dem Gesinde Lohn und Kleidung zu
den bestimmten Zeiten ungesäumt zu entrichten?).
83. Ist auch Kost versprochen worden, so muß selbige bis zur
Sättigung gegeben werden"). Offenbar der Gesundheit nachtheilige und ekel-
hafte Speisen kann das Gesinde anzunehmen nicht gezwungen werden. In
Fällen, wo über die Beköstigung Streit entsteht, entscheidet in Ermangelung
bestimmter Verabredung die Polizei-Obrigkeit wie §. 33 über die Menge und
Beschaffenheit derselben.
§. 84. Die Herrschaft muß dem Gesinde die nöthige Zeit zur Abwartung
des öffentlichen Gottesdienstes lassen, und dasselbe dazu fleißig anhalten.
§. 85. Sie muß ihm nicht mehrere noch schwerere Dienste zumuthen, als
das Gesinde nach seiner Leibes-Beschaffenheit und seinen Kräften ohne Verlust
seiner Gesundheit bestreiten kann.
§. 86. Zieht ein Dienstbote sich durch den Dienst oder bei Gelegenheit
desselben eine Krankheit zu, so ist die Herrschaft schuldig s), für seine Kur und
Verpflegung zu sorgen.
1) Dieser Paragraph dürfte wohl veraltet und durch den Begriff der Nothwehr
und §. 53 R. Str. G. B. ersetzt sein. Allerdings wird eine Thätlichkeit der Herrschaft
in den Grenzen des §5. 77 Ges. O. als rechtswidriger Angriff nicht gelten können.
:) Vergl. Ges. 24. April 1854, oben S. 752.
2) Wenn über die Zahlungstermine und die Höhe des Lohnes Streit entsteht,
weil solche nicht vereinbart sind, so wird nach §. 33 Ges. O. die Ortspolizeibehörde
darüber Festsetzungen zu treffen haben. Im Uebrigen findet wegen Lohnstreitigkeiten
eine Einmischung der Polizei nicht statt, vielmehr haben darüber die ordenilichen Ge-
richte zu entscheiden, Res. 13. Febr. 1890 (M. Bl. S. 34). Das Gesinde hat auch
Anspruch auf angemessene Wohnung, bezw. Schlafstätte. Wegen seines Rechtes sich
in den Ränmlichkeiten oder auf dem Grundstücke der Herrschaft aufzuhalten, vergl.
E. Crim. XIII. 189.
4) Die Kostverweigerung oder Darreichung ungeeigneter Kost muß von der Dienst-
herrschaft selbst oder mit deren Auftrag und Genehmigung erfolgen. Bloße Vernach-
lässigung Se Angestellter der Dienstherrschaft genügt nicht, Erk. 25. Febr. 1889
(E. K. 1X. .
5) Gemäß Erk. O. Trib. 6. März 1855 (Strieth. Arch. XV. 367) ist die
Herrschaft nicht unter allen Umständen für die Kur des im Dienste erkrankten Ge-
sindes zu sorgen verpflichtet, vielmehr kommt es auf die Frage an: inwiefern dem
Dienstboten selbst ein vertretbares Versehen zur Last fällt. Vergl. auch Erk. O. Trib.
26. April 1844 (Jur. Wochenschr. 1844 S. 619), welches denselben Grundsatz
ausspricht, und Erk. 6. März 1855 (Strieth. Arch. XV. 367). Unter allen Um-
ständen dauert die Haftung der Herrschaft, wie im §. 88, über die Dienstzeit
nicht hinaus.
Auch diejenigen Krankheiten oder Verletzungen, welche der Dienstbote sich durch
den Dienst oder bei Gelegenheit desselben ohne seine Schuld zuzieht, verpflichtet die
Herrschaft nur unter den im §. 94 angegebenen Voraussetzungen über die Dienstzeit
hinaus. Vergl. das vorstehend angezogene Erk. 26. April 1844 (Koch, A. L. R. Anm.