Full text: Handbuch für Preußische Verwaltungsbeamte. Erster Band. (1)

Abschnitt XIV. Vereinsgesetz. 835 
Die Genehmigung ist von dem Unternehmer, Vorsteher, Ordner oder Leiter 
derselben mindestens acht und vierzig Stunden vor der Zusammenkunft nachzu- 
suchen, und darf nur versagt werden, wenn aus Abhaltung der Versammlung 
Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung zu befürchten ist. 
Soll die Versammlung auf öffentlichen Plätzen, in Städten und Ortschaften, 
oder auf öffentlichen Straßen stattfinden, so hat die Ortspolizeibehörde bei 
Ertheilung der Erlaubniß auch alle, dem Verkehr schuldigen Rücksichten zu 
beachten. Im Uebrigen finden auf solche Versammlungen die Bestimmungen 
der §§. 1, 4, 5, 6 und 7 Anwendung. 
§. 10. Den in dem vorhergehenden Paragraphen erwähnten Versamm- 
lungen werden öffentliche Aufzüge !) in Städten und Ortschaften oder auf öffent- 
lichen Straßen gleichgestellt. Bei Einholung der Genehmigung ist der beab- 
sichtigte Weg anzugeben. Gewöhnliche Leichenbegängnisse ), sowie Züge der 
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Zu Anmerkung 5 auf S. 834. 
Schulbehörde angeordnet, so unterliegen sie gemäß §. 21 dem Vereinsges. nicht, 
E. K. II. 248. 
1) Eine zu einer Festfeier vereinigte Menschenmenge, die in einer Weise, welche 
die Aufmerksamkeit des Publikums zu erregen und die öffentliche Ordnung, insbesondere 
den Verkehr zu gefährden geeignet ist, sich über öffentliche Straßen hinweg bewegt — 
fällt in die Kategorie eines Aufzuges im Sinne des §. 10, Erk. 12. Sept. 1877 
(G. A. XXV. 640). Wie viel Theilnehmer erforderlich sind, ist Gegenstand that- 
sächlicher Feftstellung, jedenfalls darf die Zahl nicht allzuklein sein. Ein Erk. K. G. 
5. Juni 1893 (G. A. XII. 75) erachtete 15 Theilnehmer für ausreichend. Daß die 
Menschenmenge mit einem gewissen Gepränge auftritt, ist nicht erforderlich. Es 
genügt, wenn sie die Aufmerksamkeit der Ortsbewohner erregen will. Ob der Aufzug 
die öffentliche Ordnung gestört hat, oder sie zu stören geeignet war, ist gleichgültig, 
E. K. XIV. 353. „Oeffentlich“, d. h. in der Oeffentlichkeit sich bewegend, sie beein- 
flussend, Erk. K. G. 25. Febr. 1895 (G. A. XIII. 443). 
Der §. 10 findet bei Aufzügen auf öffentlichen Gewässern nicht Anwendung, 
Erk. 24. Mai 1866 (G. A. XIV. 495), ausgenommen bei Aufzügen in Städten, 
zu deren Weichbild die Wasserstraße gehört, E. K. XIV. 349. 
2) Ungewöhnlich ist ein Leichenbegängniß, bei dem entweder eine über den Zweck 
der Leichenbestattung hinausgehende Absicht verfolgt, oder durch die besondere Weise 
der Ausführung die öffentliche Ordnung gefährdet wird, E. K. XII. 238. Rothe 
Fahnen und Kränze mit rothen Schleifen machen ein Leichenbegängniß ungewöhnlich. 
Leichenbegängnisse, bei denen Personen als Redner fungiren, die nicht Geistliche der 
anerkannten Religionsgesellschaften sind, können nicht als „gewöhnliche“ im Sinne des 
Bereinsgesetzes angesehen werden. Es muß also für sie in jedem Falle gemäß §. 9 
die polizeiliche Genehmigung eingeholt werden, sie ist aber nur zu versagen, wenn 
Gefahr für die öffentliche Ordnung zu befürchten ist. Das Verbot der Reden von 
Laien bei Leichenbegängnissen auf kirchlichen Begräbnißplätzen zum Zwecke der Aufrecht- 
erhaltung der Ordnung der anerkannten Religionsgesellschaften kann der Regel nach 
nur von der Landes-, nicht von der Orts-Polizeibehörde ausgehen, Erk. 3. Sept. 1887 
E- * XVI. 386), Erk. 6. Febr. 1890 (E. K. X. 253), 18. Jan. 1892 (E. K. 
XII. 239). 
Eine Polizeiverordnung, durch welche das Halten von Leichenreden auf Kirchhöfen 
von der zuvor einzuholenden Genehmigung des zuständigen Pfarrers abhängig gemacht 
wird, ist nicht im Widerspruch mit den Gesetzen und deshalb zulässig. Auf das 
Halten von Leichenreden auf dem an der Straße belegenen Hofe des Sterbehauses 
ver einer unbeschränkten Zahl von Personen findet nicht §. 9 des Vereinsges. An- 
wendung und es bedarf also dazu der Genehmigung der Ortspolizeibehörde, Res. 
29. Sept. 1886 (M. Bl. S. 240). 
Eine Baptistengemeinde, welcher durch die zuständige Staatsbehörde nach vor- 
heriger Prüfung Korporationsrechte verliehen sind, gehört zu den vom Staate aus- 
drücklich anerkannten Religions- und Kirchengesellschaften. Geistliche solcher Gemeinden 
unterliegen nicht den Strafbestimmungen einer Polizeiverordnung, welche das Halten 
von Reden oder Gebeten auf Begräbnißplätzen anderen Personen, als den dazu ver- 
ordneten Geistlichen und sonstigen Kirchenbeamten der vom Staate ausdrücklich 
anerkannten Kirchengesellschaften untersagt, Erk. 16. März 1885 (E. K. V. 302). 
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