Full text: Die deutsche und die brandenburgisch-preußische Geschichte. Erster Teil: Die deutsche Geschichte bis zum westfälischen Frieden. (1)

14 Die Ostgoten. 
eines Patrizkus 1) längere Zeit (bis 472) an der Spitze des Reiches; 
er setzte sogar mehrere Kaiser ab und erhob andere auf den Thron. 
Einige Jahre später machten die germanischen Söldner, die aus 
Herulern, Rugiern und Skiren bestanden, diesem unhaltbaren Zustande 
ein Ende. Sie forderten feste Wohnsitze, wie sie die Germanen in 
anderen römischen Provinzen bereits erlangt hätten, und als dies ver- 
weigert wurde, riefen sie ihren Heerführer Odoaker zum Könige 
von Italien aus. Dieser setzte keinen Kaiser?) mehr ein, sondern 
regierte vollkommen unabhängig und wurde auch von dem oströmischen 
Kaiser Zeno als Patrizius anerkannt. Damit hatte also das west- 
römische Reich 476 seinen Untergang gefunden. 
Die Ostgoten. [Theoderich der Große 493—529.] Als 
Odoaker nach einer 12 jährigen glücklichen Regierung seine Macht im 
Norden zu erweitern suchte, geriet er mit den Ostgoten, die damals 
in Pannonien Wohnsitze hatten, in einen Kampf auf Leben und Tod. 
Er wurde von dem Ostgotenkönige Theoderich — später der Große 
genannt — in drei Schlachtens) besiegt und darauf in Ravenna, wohin 
er sich geflüchtet hatte, belagert. Hier ergab er sich 493 gegen das 
Versprechen, daß er am Leben bleiben dürfe, wurde aber von Theoderich 
selbst ermordet. Dieser übernahm jetzt die Regierung Italiens und 
Siziliens und erhielt von dem oströmischen Hofe, dem er früher Söldner- 
dienste geleistet hatte, die Würde eines Patrizius. Damit gab man aber 
in Konstantinopel die Ansprüche auf das Abendland keineswegs auf. 
Theoderich herrschte mit Kraft und Gerechtigkeit und genoß nicht 
bloß in seinem eigenen Reiche Italien, Pannonien und Dalmatien, 
sondern auch bei anderen germanischen Völkern großes Ansehen, nament- 
lich bei den Westgoten, Vandalen und Burgundern, mit deren Königen 
er in verwandtschaftliche Beziehungen trat. Von dem vornehmen Römer 
Kassiodorkus geleitet, ließ er das alte Recht der italischen Bevölkerung 
unangetastet, seine barbarischen Goten sollten dagegen allein die Waffen 
  
1) Diese Würde hatte Konstantin der Große gestiftet; sie wurde dem 
obersten Hofbeamten verliehen. 
2) Der letzte weströmische Kaiser, der von den Oströmern anerkannt wurde, 
war Julius Nepos; ihm gegenüber hatte der Patrizius Orestes seinen jungen 
Sohn Romulus (spotiweise Augustulus — Kaiserchen genannt) zum Kaiser 
ausgerufen. 
:) Am Isonzo, bei Verona (wonach Theoderich in der deutschen Sage 
Dietrich von Bern genannt wurde) und an der Adda. Aus den Kämpfen um 
Ravenna erdichtete die deutsche Sage eine Rabenschlacht.
	        
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